Keine Perlen für Union in der Mupfel

In mehreren Chargen fuhren wir nach Augsburg. Die aus der „Scheiß-Frühaufsteherfanclub“-Fraktion sind nur unmerkliche sechzig Minuten früher los als die LangschläferInnen. Es entwickelte sich das für bahnfahrende Reisende vertraute Zusammen- wie Wechselspiel von Verspätung und Anschlusszügen und welchen zugespielten Informationen man mehr Vertrauen schenken will, der aus der Bahn-App oder der Anzeige im Zug. Während die App auf pessimistischen Realismus setzte, waren die im Zug angezeigten Verspätungen mehr vom Prinzip Hoffnung getragen.

Hin und her gerissen von Hoffnung und Realismus entwickelten wir den Plan, der jeden Freund der Relativitätstheorie entzückt hätte juchzen lassen, im Zug in Fahrtrichtung vorzulaufen, um im Münchner Kopfbahnhof die entscheidenden Meter voraus für den zügigen Gleiswechsel zu sein. Ein Plan, der ganz hervorragend funktioniert hat, dank eines Rettungsasistenten (!), der weiß, wie man sich durch Menschenmengen pflügt.

So konnten wir die kuriose Verbindung  von Berlin nach Augsburg via München auch wirklich auskosten. 

Denn, wenn man in Berlin… in den Zug… nach München quasi einsteigt… und dann zweihundertsiebzig Minuten später…  in München… am Hauptbahnhof in den Zug nach Berlin… dann ist man praktisch keine dreißig Minuten später in Augsburg.

Während wir FrühaufsteherInnen in Augsburg in einem bahnhofsnahen Brauhaus, das jeden sich mit Bahnthemen beschäftigenden Podcaster die Freudentränen in die Augen getrieben hätte, uns der leichten bayerischen Küche hingaben, warteten unsere Langschläfer in einem Tunnel bei Bamberg noch auf das am Ende verheißene Licht. Mit diesem kamen auch sie wohlbehalten an und dem gemeinsamen Gang zum Stadion stand nach einigen gemeinsamen Getränken nicht mehr viel im Wege, außer einigen Augsburgern, die erstaunlicherweise auch dahin wollten. Mit Stadionöffnung setzte bei der Augsburger Version der BVG der Sonderzugbetrieb zum Stadion ein. Diesem Konzept mag ein tieferer, mir sich nicht erschließender Sinn zugrunde liegen, aber das die Station, die angeblich am Stadion sei, rund ein Lichtjahr davon entfernt ist und einen entsprechenden Fußmarsch nach sich zieht, erschließt sich mir zwar auch nicht, scheint aber in irgendeiner bundesweit geltenden Stadionneubauverordnung so verankert zu sein, dass dagegen mit fußläufiger Vernunft nicht anzukommen ist. Wie in Mainz, wo man je nach Jahreszeit noch durch’s Death Valley oder die Sibirische Tundra muss oder auch in Freiburg, so ist auch in der Fuggerstadt für den ökologisch verträglicher Anreisenden noch ein Zweitausendschrittemarsch vorgesehen. Während die mit dem Auto ankommenden erst ein wenig im Stau und dann in Sichtweite zum Stadion stehen. Immerhin taten wir etwas für unsere Gesundheit.

Will man aber ernsthaft, dass mehr Menschen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu Veranstaltungen fahren, sollte man sich ebenso ernsthaft überlegen, ob es nicht sinnvoller wäre, die dafür notwendigen Haltepunkte näher an diese Orte zu setzen als die Parkplätze. Besonders an Orten, wo einem keine gewachsene Infrastruktur im Wege steht.

Das Stadion, welches wohl nie eines war, sondern immer eine Arena, würde, wie die vielen anderen modernen Stadien dieses Landes, einigermaßen halbfertig wirken, wenn die Rückseite der Tribünen nicht verkleidet wäre. In Augsburg sind es in alle Richtungen strebende Streben, mit denen versucht wird, eine zeitgemäße Silhouette zu erschaffen. Das sieht des Nachts, beleuchtet, sogar ganz hübsch aus. Wenn aber die Sonne als Zeugin hinzukommt, kann man eigentlich nicht anders als, je nach eigener ornithologischer Vorliebe, an ein Storchennest oder einen Adlerhorst zu denken. 

Warum es dann auch noch immer ***-Arena heißt und nicht „Stadio San Sebastian’s“, müssen die Verantwortlichen in Augsburg mit sich selbst ausmachen. Schließlich erinnert sich die gesamte Fußballwelt in Köpenick noch an die Entstehung des Doppel-Sebastians am 24. August 2019 als in der 80. Minute Sebastian Andersson nach Vorlage von Sebastian „Polti“ Polter das erste Bundesligator für Union schoss. Ein Moment, in dem wir alle das erste Mal spürten, dass Union vielleicht doch nicht 34 Mal in dieser Liga auf die Fresse bekommen wird. Und wir wussten da ja noch nichts von dem Irrsinn, der sich bei unserem ersten Bundesligaheimspiel (offiziell wird es als zweites bezeichnet) Bahn brach. Also  erstmal über den BVB und dann über die Bundesliga hereinbrach. Mein Respekt für Polti ist immer noch groß, dass er, eingedenk der historischen Bedeutung dieses Tores, im Sinne von Union zu Andersson passte und es nicht selbst versuchte.

Nach einer Genauigkeit nur vorgebenen Kontrolle im Innenraum gibt es wieder den Quatsch des bargeldlosen Bezahlens. Quatsch nur deswegen, weil man sich dafür die FCA-Card  besorgen oder die FCA-App herunterladen muss, anstatt schon etablierte Systeme des bargeldlosen Zahlungsverkehrs zu verwenden, wie zum Beispiel die EC-Karte oder ähnliches. Sapperlot

Für eine fachkundige Spielanalyse verweise ich, nicht zum ersten Mal, auf die Lektüre des textilvergehens. In meiner von Gesang und Stadionblick beeinflussten Wahrnehmung war die erste Hälfte so, dass man, mit dem Wissen, dass Union zweite Spielhälften oft deutlich besser ist, sich wenig Sorgen machte. Unter der sehr gelungenen Choreo nahmen wir den Beginn der zweiten Halbzeit zunächst nur akustisch wahr. Als unser Blick wieder von Choreo und Rauch befreit war, sah man schon ein anderes Spiel als in der ersten Hälfte. Leider mit den besseren Situationen für den FCA und so sahen wir auch den einzigen Treffer. Für den nicht unverdient gewesenen Ausgleich hatten wir schlicht zu wenig Sebastians im Kader. Verlieren mit Anstand könn’wa und feierten die Mannschaft trotzdem. Wenn ich mir aber eines wünschen dürfte, dann wäre es, dass eine von zehn Flanken mal flach hinein geschlagen würde. Das ist nur der naive Wunsch eines, zwar wie Trainer auch von der Seite Zuschauenden, aber wegen völliger Ahnungslosigkeit auch deswegen erhöht Stehenden.

Da an diesen modernen Stadionstandorten wenig bis nichts zum Verweilen einludt und die Rückfahrt keine Option der variablen Gestaltung bot, sammelten wir uns dann für unsere Verhältnisse recht früh, um Richtung Bahnhof zu shuttlen. Wir lernen, dass drei (!) Busse, die dreißig Minuten nach Abpfiff alle schon gefahren sind, auf irgendeinem DFL-Richtlinienbogen als Shuttleservice angekreuzt werden können… Also wieder den Marsch zur Straßenbahn antreten. Die um uns herum und mitlaufenden Augsburger sind recht vergnügt, wähnen sie sich doch, nicht ganz unbegründet, gerettet. Selbst wenn es da noch rechnerisch Konstellationen geben kann, dass es nicht reicht, gratulieren wir auch zum Klassenerhalt.

Wir füllen unsere Getränke- und Essensvorräte am Bahnhof auf. Auf dem Bahnsteig angekommen, beschleicht uns die Ahnung, dass die  erste Etappe bis Nürnberg eine kuschelige Fahrt werden wird. Der einfahrende Regionalzug macht die Ahnung zur Gewissheit. Offensichtlich kann die Bahn, trotz digital gebuchter Tickets, nicht ermittleln, welcher Bedarf zu bestimmten Zeiten bei bestimmten Zügen besteht. 

Im ICE sehen einige von uns noch wie St.Pauli mit einem heckenscherenartigen #dreizunull erst die Lilien zurechtstutzte und dann damit den vorzeitigen Aufstieg und die sicher schon vorbereitete Feier verdarb. Wer da nicht an einen jetzt recht erfolgreichen Trainer denken musste, ist deutlich jünger als …

Ab Südkreuz tröpfeln wir ins nächtliche Berlin und nahe Umland. Lutschen Gelo Revoice haufenweise um gegen Freiburg dem Irrsinn noch mehr Spin zu geben.

Niemand wird es wagen…

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