Joshua fit the battle of Weserstadion

Der Herbst zieht ein welkes Band über das Land und mittendrin fliegen strahlendweiß die ICEs, also die Züge, hindurch wie sonst nur die vermeintlichen Chemtrails am Sommerhimmel. Doch Joshua rüttelt kräftig am Geäst der Bäume und so manches Mastes der Stromleitungen, deren Kraft uns in den Norden treibt. Zu unterschiedlichen Zeiten begeben wir uns auf die Reise, so dass der Zeilenknecht als erster der kleinen Schar an die Wesermündung reist.

Beim Verlassen des Bahnhofs wollte der schon erwähnte Joshua mir an die Kopfbedeckung, aber mit der Behändigkeit eines Hütchenspielers packte ich die davonfliegen-wollende Kappe. Ja, so ein erster Herbststurm muss sich natürlich auch an den unbedeutenden Dingen austoben, wenn man ihn nicht vergessen will.

Die Stadt an der Weser ist im Herbst anscheinend von Strassenfesten überflutet wie sonst nur mit Weserwasser bei Sturmflut. Der 990. Freimarkt bestimmt die Stadt. Seit 1035, wie die mathematisch Flinken unter der Leserschaft sicher schon herausgefunden haben, wird alljährlich die Verleihung der Marktgerechtigkeit durch Kaiser Konrad II. begangen. Was damals sicher zum Aufschwung als Handelsstadt beitrug, weil nun jeder Handel treiben durfte, der es wollte und vor allen Dingen etwas zum Handeln besaß, ist es heute mehr ein Volksfest, mit ungesunden Lebensmitteln und Waren, die heutzutage etwas aus der Zeit gefallen sein scheinen, aber jeden Adventssonntag mit Duft und Kerzenschein bereichern werden. Auch weil sich kaum noch jemand vier Doppelzentner Kartoffeln und Steckrüben in den Keller packt. Mit einem rosenmontagsartigem Umzug zum Abschluss gleitet man dann unvermittelt in das vorweihnachtliche Marktgeschehen über.

Die Begeisterung scheint seit 990 Jahren einigermaßen ungebrochen zu sein, was erklären könnte, weshalb die Hotelpreise in atemgeräteerforderliche Höhen geschossen sind. So brach ich mit einem guten Vorsatz wie einst Franklin D. Roosevelt mit der Prohibition und buchte bei einer namhaften Plattform für solcherlei Übernachtungsmöglichkeiten eine recht geräumige Unterkunft, so dass wir fast alle Grenzenlosen darin untergekommen sind.

Lediglich die Menschen mit privaten Verbindungen in die Hansestadt entzogen sich diesem gemeinschaftlichen Erlebnis. So kampieren wir in einem typischen zweigeschossigen norddeutschen Reihenhausbau in Sebaldsbrück, wo sich einst die Hauptproduktionsstätten der Borgward-Werke befanden. Was die beiden gemeinsam, neben der Stadt, aus der sie kommen, haben, ist ganz offensichtlich die Raute als Logo und etwas weniger offensichtlich das Jahr 1963. Die einen spielen ihre erste Bundesliga-Saison und die anderen Stellen endgültig die Produktion ein. Es korreliert aber nur miteinander.

Da wir zu unterschiedlichen Zeiten anreisen, wäre ein Sammeln an der Unterkunft eine schöne Idee. Gewesen. Wäre da nicht die Bahn mit ihren Eingriffen in die individuelle Reiseplanung. So sind wir gezwungen, Gepäck zwischenzulagern und uns in Stadionnähe am “Eisen” zu treffen. Die Einlasssituation am Gästeblock ist, trotz des neuen Blockes, noch immer eine diffizile. Rechtzeitiges Vor-Ort-sein ist immer noch das Gebot für sicheres ins Stadionkommen. Denn die Berechnungen für das richtige Verhältnis von Raum und Menschen scheint in Bremen eine andere zu sein als in anderen Städten der Bundesrepublik. Was nichts anderes heißen soll, als dass es hier immer ausgesprochen eng wird.

Am Tag als Andrej Ilic …

Während Joshua den halben Tag lang mit seinen Böen am Stadion rüttelte, konnte Union nur kurz am Mannschaftsgefüge Werder Bremens rütteln. Als Andrej Ilic vom Unbehagen geschüttelt in die Katakomben verschwand, verschwand auch der Typ, der den Türsteher vorm Club ablenken kann. So pflügten die Unsrigen nur noch durch die Pauline Marsch und alles schien schiedlich friedlich unentschieden auszugehen. Doch dann war für einen Moment Sonntag am Freitagabend und ein Bremer hatte genau dafür einen Schuß parat. Das Ärgerliche daran war wieder, dass auch dieser Gegner besiegbar war wie einige andere zuvor. Aber wahrscheinlich hatte der grünweiße Teil im Stadion ebenso diesen Eindruck.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Verkehrskonzepte im Allgemeinen und im Besonderen überbewertet sind. Außer bei uns. Es gibt da einen Bundesligastandort, der auf zwei unterschiedlichen Linien mit S-Bahn (und zwar die richtige S-Bahn und nicht so ein verkapptes Regionalbahngedöns) und von zwei Seiten mit Straßenbahn anfahrbar ist. In naher Zukunft können auch Regionalbahnen benutzt werden. Zusätzlich verfügt dieser Ort über Parkplätze am Stadion und in der Nähe der Spielstätte. Für Autos und für Fahrräder. Spoiler: Bremen ist es nicht.

Parkplätze sind frühestens am Graben in Huchting verfügbar. Alle drei verfügbaren Straßenbahnlinien fahren über dasselbe Gleis in einer Straße, in der sich alles tummelt. Abströmende Fans auf Kneipensuche, Autos, Menschen auf dem Weg nach Hause und auf dem Weg ins Wochenende und zwischendrin Straßenbahnen. Am Osterdeich standen wohl auch Shuttlebusse für die Eiligen bereit. Das alles für rund zweiundvierzigtausend Stadionbesucher. An dieser kleinen Aufzählung zeigt sich, mit welcher Fürsorge die Verantwortlichen der Schönen Stadt an unser Wohl denken, während die Kaffeesäcke der Hansestadt diese Fürsorglichkeit vermissen lassen. Stattdessen müssen wir auf überfüllten Wegen den unsrigen finden.

Mit dem aus dem Zwischenlager ausgelösten Gepäck im Schlepptau ziehen wir Richtung Unterkunft, aber nicht ohne in einer der vielen Imbissangebote den durch den Tag getragenen Hunger zu mitternächtlicher Stunde zu stillen. Mit Fug und Recht konnten wir uns als die letzten Kunden bezeichnen. Mit noch schnell besorgten Getränken geht es zurück in die Ferienunterkunft und die Vernunft hätte es, angesichts der frühen Abreise, geboten, mit einem fröhlichen Zähneputzen, pullern und ab ins Bett, den Tag zu beenden. Wir saßen aber lieber noch in der Küche (!) und schwelgten in Erinnerungen an Fahrten durch Europa…Der neue Tag ist schon zweieinhalb Stunden als sich die Vernunft noch mal meldet und diesmal zu uns durchdringt.

Trotz der wenigen Stunden stehen wir kurz nach acht bereit zu einem Bahnhofsfrühstück am Samstagmorgen und der Spieltag ist uns ziemlich egal. “Auswärts fahr’n mit Bus oder Bahn…”

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