Placebos in Tablettenstadt

Oder: „von der Hybris im Block“

Dieser erste Oktober-Samstach, in dessen Nähe seit nunmehr fünfunddreißig Jahren ein Feiertag rumlungert, begrüßt uns mit einem wunderbaren Regenbogen, der uns mit seiner verbreiteten Heiterkeit eine Zukunft verspricht, die sich zumindest für diesen Tag nicht erfüllen wird. So wird unsere Erkenntnis des Tages sein, am Ende des Regenbogens finden sich weder ein Topf voll Gold noch drei Punkte.

Aber das wissen wir zu diesem Zeitpunkt, wo wir mit unseren halbgeleerten Kaffeebechern auf den Zug warten, der schon hier das Drittel einer Stunde als Verspätung anhäuft, noch nicht. Flaschensammler und Zeitungsverkäufer laufen Slalom um die Wartenden und bieten ihren Service an, uns von Leergut zu entlasten oder mit Lektüre für die Fahrt zu versorgen. Die üblichen Umstände umwehen also unseren Reisestart. Soviel Konvention kann doch nur wieder in wunderbarem Terrorfußball seine Erfüllung finden.

In Düsseldorf steigen wir zügig in den RE5 nach Koblenz ein, wofür wir praktischerweise nur auf die andere Seite des Bahnsteigs wechseln müssen. Von einer ungeahnten Weitsicht getragen, wurden dort auch Schienen verlegt. Diese kleinen Dinge sind es, die so eine Fahrt mit der Eisenbahn angenehm gestalten. Nicht die Siechen und Lahmen, sondern die der Bequemlichkeit anhängenden, unserer glorreichen Sieben, sitzen das Viertelstündchen bis zur Ankunft in der Perle der Pharmaproduktion.

Nach dem obligatorisch kurzen Spaziergang durch den Park, mit dem wir den ansehnlichsten Teil der Tablettenstadt passiert haben, freuen wir uns allein dafür schon auf den Rückweg. Im Park führen vier Pferde ihre geharnischten Beamten aus. Das betreute An-der-frischen-Luft-sein trägt wenig für ein deeskalierendes Sicherheitsgefühl bei. Angesichts dieser mittelalterlichen Zurschaustellung von Verteidigungsbereitschaft der öffentlichen Ordnung und der vielen roten Kappen fragen wir uns, ob wir vielleicht Wein und Kuchen für die Großmutter hätten mitnehmen sollen, statt Bier und Sticker.

Der unmittelbar hinter dem Haberland-Stadion liegenden Arena ansichtig, fällt uns die doch recht lange Schlange an den Toren auf. Ja, hier schlägt der Wunsch nach Zucht und Ordnung die berühmte rheinische liberale Lebenseinstellung einfach in die Fresse. Aber vielleicht liegt es ja auch nur am hochstirnigen Lord Voldemort der Sportabteilung von Bayer.

Von Amerika lernen, heißt Siegen lernen. Nachdem in den Wochen zuvor das Gerücht umging, man bekäme ein Hausverbot in der Bayarena, wenn Sticker gefunden würden, haben wir uns prophylaktisch von allen Papieren mit einer adhäsiven Seite befreit. Soviel Ärger ist uns ein 08/15-Spiel gegen die Tablettenstädter nun wirklich nicht wert. So dachten wir. Wenn man, wie der Zeilenknecht, an eine Abtastkraft gerät, die sich zur höheren Aufgaben berufen fühlt, dann kann eine Situation entstehen, die als Ahrensfelder Eskalation in den Geschichtsbüchern steht. Der von dem Dienstbeflissenen entdeckte quaderförmige Gegenstand entpuppte sich zwar als harmloses Portemonnaie, aber man kann ja mal versuchen hineinsehen zu dürfen. Denn es könnten diese lebensgefährlichen Sticker darin versteckt sein. Mein vehementer Widerspruch ließ sein Vorhaben zusammenfallen wie ein angepiekstes Soufflé.

Aber so schnell gibt der kleine Machthaber nicht auf und die restliche Kontrolle verlief mit einer Intensität ab, die mich überraschte und nur Millimeter von einer Übergriffigkeit entfernt war. Und zwei vergessene Sticker ließen ihn von der Richtigkeit seines Tuns überzeugt bleiben. Diese wandern in eine Mülltonne und ich ins Stadion. Kein Hausverbot.

Dass das aber ein reales Thema war oder auch noch ist, zeigen Tapeten der Leverkusener. Das Spiel lief, wie Spiele bei den Tablettenstädtern so ablaufen. Zwei entsetzlich dumme Gegentore gefangen und selbst keine drei Tore geschossen, führen zu dem Ergebnis, wie es jetzt in den Annalen steht. Das einzig Ärgerliche ist, dass diesmal eine Bayermannschaft auf dem Feld stand, der man mit größerer Wahrscheinlichkeit, als jemals zuvor etwas anbringen hätte können.

Aber so eine Unionmannschaft stand diesmal einfach nicht zur Verfügung. Am für mich Unerfreulichsten war die Situation rund um die Verletzung von Grimaldo. Frotzeleien, gern auch mal etwas derber, gehören wahrscheinlich zum Fußballspiel wie die Bratwurst und das Bier. Wenn aber ein Spieler nach einem Zusammenprall regungslos liegen bleibt, dann ist meines Erachtens der Punkt erreicht, wo man bei allem uns innewohnenden Hochmut, eher einen Gang runterschalten sollte als rauf. Leider war dem nicht so. Wenn wir an Diogos Verletzung in Bochum denken, dann wirkt unsere damalige Erregung über die VfL-Kurve, die weiter sang, im Nachhinein etwas bigott. Ich hoffe sehr, dass uns die ausgleichende Gerechtigkeit erspart bleibt.

Nach dem Spiel eilen wir wieder durch den Park zum Bahnhof. Die Pferde haben mittlerweile ihre Beamten sicher nach Hause gebracht. In Düsseldorf ist noch etwas Zeit für zum Beispiel Bratwurst. Der Verkäufer fragt nach dem Ergebnis und versucht dann zu trösten, dass auch wieder bessere Tage kommen. Ist das jetzt diese verdammte Freundlichkeit der Düsseldorfer oder sind wir so am Gesäßmuskel? In der ersten Stunde des Sonntag kommen wir in Berlin an und ziehen schnell zu unseren Schlafstätten, denn das Spiel der Frauen stand in wenigen Stunden an, zu dem wir uns fast alle wiedersehen.

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