Besser als Galatasaray

Oder: „die Gala-Crasher aus Köpenick“

Vor kurzem wurde in dieser Rubrik, die im Nachhinein betrachtet, ziemlich cliffhängende These in den Raum gestellt, dass man diesen Irrsinn des Auswärtsfahrens keinem Außenstehenden erklären könne. Ich wage die Synthese: Dafür!

Doch um an diesen Punkt zu kommen, mussten wir nicht nur unsere Seelen, sondern auch unsere Körper zwecks Beförderung der Bahn anvertrauen, die uns den morgendlichen Kaffee, gleich einmal mit einem Zugausfall, zu versüßen suchte. Würde man in einer kleineren als der unsrigen schönen Stadt leben, dann wären all die schön gemachten Pläne wahrscheinlich vollends dahin. Wir haben nur die grüne Soße leichten Herzens aus dem Programm gestrichen. Mit einiger professioneller Expertise ausgestattet, haben wir uns für die auf den ersten Blick kompliziertere Option mit Umstieg in Hannover entschieden. Wir werden den angepeilten Umsteiger, trotz angemeldeten Wartewunsches unserer Zugchefin, nicht erreichen, weil die in Frankfurt(!) sitzende Zentrale Verkehrssteuerung, dieses Begehren ablehnte. Dieser plumpe Versuch, uns am Erreichen unseres Reiseziels zu hindern, verschafft uns eine knappe Stunde Zeit unsere Vorräte aufzufüllen.

Wir glauben natürlich nicht an sinistre Konspirationen, aber Fragen stellen sich schon.

Das eigentlich Verdrießliche an ausgefallenen Zügen ist ja nicht die Widrigkeit, sich neue Verbindungen suchen zu müssen, sondern, dass mit der Aufhebung der Zugbindung jede Sitzplatzreservierung ebenso hinfällig ist. Haben wir noch auf der Strecke bis Hannover durch geschicktes Einsteigen ausreichend Platz für unsere Gesäßmuskeln gefunden, der auch noch ausreichender Höhe so montiert war, dass er mit den ebenfalls angebrachten Rückenlehnen einen Sitz ergab, mussten wir auf der zweiten Teilstrecke nach Frankfurt, uns um die Gruppendynamik zu erhalten, im Fahrradabteil auf dem Boden Platz nehmen. Ruth-Vibes (alle AmsterdamfahrerInnen haben jetzt ein Bild vor den Augen) kamen aber nicht auf – wir waren eindeutig wohlgelaunter.

Zwei weitere frühe Biere und ein Konterwasser sowie einige Mischen später wird uns die baldige Ankunft in Frankfurt am Main angezeigt. Einer Stadt, die sich gern im Herzen Europas wähnt und in die wohl, einer statistischen Erhebung zur Folge, jede Stunde acht Menschen ziehen. Das klingt nach einem attraktiven place to be. Andererseits überdenken jede Stunde sechs Menschen diese Entscheidung und ziehen weg. Touristen hingegen bleiben wohl gern einskommasieben Tage in der Stadt, woraus sich für mich die Frage ergibt, wer bleibt für mich einskommazwei Tage in der Mainmetropole? Vielleicht liegt das an den zweiundzwanzig Babies, die hier jeden Tag das Licht des Kreißsaales erblicken, aber sicher nicht alle in der Stadt leben werden oder den fünfzehn Menschen, die jeden Tag, die Daseinsform von der physischen in eine spirituelle wechseln …die geneigte Leserschaft wird sich sicher nun fragen, was hat der Zeilenknecht denn? Weshalb füttert er uns mit diesen klugscheißerischen Informationen, mit denen man auf keiner Party außerhalb Frankfurts prahlen kann?

Tja, weil die Bahn beschloss, die angekündigte Ankunft im Frankfurter Hauptbahnhof mit einem pittoresken Halt auf einer Mainbrücke um weitere zehn Minuten zu verzögern. Und das mit der gewagten These, Frankfurt habe ja nun mal einen sogenannten Kopfbahnhof und da könne man nicht einfahren, wenn der vorherige Zug noch nicht weggefahren ist. Ich wage jetzt noch eine weitere Synthese – das sollte bei einem sogenannten Durchfahrtsbahnhof nicht anders sein. Andernfalls zerhagelt man sich seine Unfallstatistik aber mal ordentlich. Endlich eine Stunde später als ursprünglich geplant, aber auch irgendwie pünktlich sind wir in Frankfurt angekommen und werden auch vor Anpfiff im Stadion sein, trotz der vielen kleinen Widrigkeiten. Wir glauben natürlich nicht an sinistre Konspirationen, aber Fragen stellen sich schon.

Schon im Zug haben wir uns auf die Straßenbahn als dem von uns bevorzugten Transportmittel zum Stadion vereinbart. Schneller als die S-Bahn soll sie sein und man sieht mehr von der Stadt, denn das touristische Element soll ja nicht zu kurz kommen, wenn wir schon auf die grüne Soße verzichten. Ein uns Berlinern vertrautes Bild lässt diesen Plan mit einem Mal recht rissig erscheinen – Schienenersatzverkehr. Ich persönlich komme mir wie ein griechischer Held vor und taste vorsorglich meine Achillessehne ab. Bin ich am Morgen in Berlin noch dem Schienenersatzverkehr zwischen Schöneweide und Treptower Park vermeintlich clever ausgewichen, ereilt mich das Schicksal dann doch noch in Frankfurt, gleich den griechischen Helden, die ihrem Schicksal letzten Endes auch nicht entkommen konnten. Meines war natürlich etwas weniger lethal.

Einträchtig sitzen wir mit den Frankfurtern in den vom Verkehrsbetrieb bereitgestellten Fahrzeugen. Noch sind wir mit schweren Gedanken an ein schweres Spiel beschäftigt, während die meisten SGEler uns gedanklich wohl mit Opferlämmern gleichsetzen und überlegen, welche Soße es denn dazu sein sollte. Zu nah und zu beeindruckend ist noch die Gala gegen Galatasaray. Nur Realitätsverweigerer wie die Union-immer-dreinuller denken insgeheim, dass die zweite Party in einer Woche nie so gut wird wie die erste. Besonders wenn die erste eher eine ungeplante war. Unioner mit hessischem Familienhintergrund sind schon zeitiger da und pessimistischer, was den Ausgang angeht. Übernachten im Hessischen tut der Realitätsverweigerung nicht gut, wenn man vielleicht einen Abend lang mit fußballerischen, nicht zu leugnenden Fakten traktiert wurde.

In der neunten Minuten gab Ansah auch nichts auf Fakten und läutete einen furiosen Fußballnachmittag ein, der zwischenzeitlich spektakulär beruhigend schien, um dann „Drama-Baby-Drama“-mäßig zu enden. So kamen wir in das wenig abgabenpflichtige Vergnügen dem “Ausritt der leichten Kavallerie” lauschen zu müssen. Aber was heißt hier lauschen? Mein Trommelfell vibriert noch heute. Mit einer an Körperverletzung grenzenden Lautstärke muss wohl auch dem letzten Sitzschalen-SGEler der Impuls eingedröhnt werden: Aufzustehen! Schal in die Hand und wedeln! ein Tor ist gefallen! Schal wedeln, um ein Tor zu feiern, ist eine der größten Unsitten in Stadien.

Aus dem Spiel kann man folgende Erkenntnisse mitnehmen. Erstens recht viele Frankfurter können nicht wirklich gut verlieren, insbesondere diejenigen, die oberhalb des Gästeblockes (nie eine gute Idee) stehen, von denen man annehmen möchte, dass es nur trinkbare Flüssigkeiten waren, die sie da auf uns herabnieseln ließen. Zweitens, die Eintracht besiegt man nicht, die Eintracht kann sich nur selbst besiegen. Heißt, gutwillig betrachtet, Union hatte zwar einen Plan, der aber nur funktionierte, weil die SGE sooooo schlecht war.

Gut, so sind wir auch in die Europapokal-Wettbewerbe eingezogen. Dem letzten verbliebenen Dino der Liga muss aber in einem Punkt widersprochen werden. Die Phrase “Wenn man drei Tore im eigenen Stadion schießt…” hat nur dann einen Hauch von Richtigkeit, wenn man in dem Spiel wenigstens einmal geführt hätte. Wenn man aber zwischenzeitlich vierzueins hinten lag, hätten diese drei Tore nie gereicht. Und dann ist man unter Umständen dem Toren näher als dem Tor.

Diesmal sind die Tore, durch die wir das Stadion verlassen können, auch für uns gleich offen. In einer recht grummeligen Atmosphäre fahren wir zurück zum Hauptbahnhof, obwohl alle Unioner eine bemerkenswert dezente Zurückhaltung an den Tag legen, gibt es einige bissige Kommentare. Die nicht so guten Nehmerqualitäten zeigen die Frankfurter auch am Hauptbahnhof, wo Anpöbeln und Bespucken keine Einzelerscheinungen waren. Ich will gar nicht ausschließen, dass Unioner nicht ebenso so doofes Verhalten zeigen können. Aber meiner Erfahrung nach, singen wir mehrheitlich ein bisschen was von engen Behältnissen und der hellen Seite des Lebens und therapieren uns damit selbst. Aber es gab auch einige Frankfurter, die eine gute Heimreise wünschten, wohlwissend wie wir es ja auch tun – am Ende wird die Eintracht vor uns stehen und die Erschütterung der Macht war nur eine kleine Begebenheit am Rande der Galaxis.

Nach nullkommazweifünf Tagen verlassen wir, überraschend glücklich, Frankfurt wieder. Das bedeutet, irgendwer müsste noch achtmal anderthalb Tage in die Mainmetropole, also on top auf die eigenen einskommasieben Tage – nur der Statistik wegen.

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