oder für immer Nein zu RB – der Protest, der nicht weichen darf…
Die Fahrt nach Leipzig ist eine der wenigen, die uns nordöstlich Lebenden das Gefühl vermitteln kann, wie schön es die auch topografisch westlichen Bundesligisten haben, wenn sie gefühlt mit der Straßenbahn zu beinahe jedem Auswärtsspiel fahren könnten. Es könnte also eine angenehm kurzweilige Auswärtsfahrt werden, wäre da nicht der Gegner – Salzburg/Nord…
In unserer grenzenlosen Bezugsgruppe werden diejenigen, die nach Leipzig fahren, um Union gegen Salzburg/Nord zu sehen, als “Streikbrecher” bezeichnet. Eigentlich ist das begrifflich nicht ganz korrekt. “Boykottbrecher” wäre sicherlich angebrachter. Wie auch immer, es verändert sich etwas im Protest oder in seiner Wahrnehmung. War im Jahr nach dem DFB-Pokal-Halbfinale und der nur drei Tage später folgenden grandiosen Revanche mit dem alle Zeiten überdauernden Michelbehrens unsere Reisegruppe noch so klein, dass wir auf der Hinfahrt nicht mal mit Skat uns die Zeit vertreiben konnten. Es ist also nicht übertrieben, sie ein Duo zu nennen. Im Jahr darauf waren schon so viele mit dabei, dass wir ordentlich Platz im unangenehmsten Stadion des Landes (Mordor in Berlin mal ausgenommen) eingenommen haben.
Natürlich schwiegen wir die 15 Minuten. Und es bleibt, mangels besserer Protestideen, richtig das zu tun. Aber mit jeder Saison wird das Gemurmel im Block hörbarer. Noch ist die Gruppe der Unterstützer des Protestes so groß, dass es funktioniert. Zumindest bei den Männern. Aber die Selbstverständlichkeit scheint zu bröckeln.
Am Sonntag beim Pokalspiel der Frauen gegen deren Frauenteam gab es diese so nicht. Da wurde von Anfang an supportet. Selbst Leute, die mit lobenswerter Konsequenz nicht nach Leipzig fahren, ließen sich anstecken und stimmten noch vor der fünfzehnten Minute mit ein. Die wenigen, die schwiegen, fielen erst mit dem laut herausgeschrieenen Countdown etwas auf. Sicherlich ist das Publikum bei den Frauen ein etwas anderes als bei den Männern. Allein schon die Szene als ein den Block koordinierendes Element fehlte. Aber die Frage stellt sich schon, ist ein Protest, der irgendwann nur noch wie ein Ritual oder Folklore, wie es die Morgenpost titelte, wahrgenommen wird, noch wirksam? Wenigstens bei uns sollte er es sein. Selbstbestätigung ist sicher kein schlechter Grund. Den RB-Kunden ist er mit Sicherheit egal, den Medien größtenteils auch. Im Zweifel werden die Atmo-Mikros beim RB-Block genommen und ab Minute fünfzehn nehmen wir ihnen das Stadion weg. Alles wie immer. Folklore der Traditionalisten und ab in die Werbung.
Den anderen Vereinen geht es ja nicht besser. Fällt es zum Beispiel auch uns auf, dass die Kölner Ultras nicht nach Leipzig fahren? Ist das außerhalb von interessierten Fanszenen schon mal wahrgenommen worden? Der Gästeblock wird schon voll genug sein, dass die Bilder im TV stimmungsvoll sind. Wir haben den ja auch ausverkauft. Es lassen sich auch neben der Mannschaftsunterstützung nachvollziehbare Gründe finden, warum das so ist. Als ein Klub mit den meisten Reisekilometern der Liga ist so ein Nachmittagsausflug in die nächstgrößere Stadt verlockender als ein mindestens ganztägiger Trip quer durch das Land.
Obendrein sind wir mittlerweile fast 67000 Mitglieder, von denen gerade mal ein knappes Drittel zu den Heimspielen kann. Und dann ist es ja auch gut, wenn vielleicht diese Neuen es mit einer Auswärtsfahrt versuchen, ihre Union-Leidenschaft zu entdecken und auszuleben. Da fällt es dann eventuell auch schwerer, sich an einem Protest zu beteiligen, mit dem man nicht so sozialisiert wurde und man ohnehin nur ja ein, zwei Spiele im Jahr im Stadion sehen kann.
Vielleicht braucht es mal wieder schwarze Leibchen. Denn ein Protest, der medial nicht auffällt oder bestenfalls belächelnd kommentiert wird, ist eben wie der Mann oder die Frau, die sich im Hyde-Park auf eine Kiste stellen und Wahrheiten verkünden. Er findet statt, was ein Wert an sich ist, aber eben auch meist recht wirkungslos, weil es nur die schon Bekehrten erreicht. Vielleicht ist es Zeit, sich neben den bewährten, neue Formen des Protestes gegen die Kommerzialisierung des Fußballs/Sportes im Allgemeinen und RB im Besonderen zu überlegen.
Am Zielbahnhof angekommen, führt unser erster Weg ins Brauhaus an der Thomaskirche, in das wir traditionell einzukehren pflegen. Nach dem letztjährigen Rouladengate wird aber diesmal tischweit Italienisches bestellt. Die Pizza ist ok, Pasta so dreiviertel. Das hauseigene Bier ist eh ein gutes. Aber wir müssen ja noch zum Schicksalsberg und einen Ring zerstören, deswegen streben wir los als Gefährten, die sich nicht knechten lassen.
Mit der Straßenbahn geht es zum Zentralstadion. Wir fahren alle mit dem Deutschlandticket (auch wenn es womöglich nicht alle haben) und nutzen nicht das dem einlassgwährenden Ticket beigefügte für den ÖPNV. So, das habt ihr schon mal umsonst bezahlt. Der Einlass ist wie immer, auch wenn die sächsische Polizei mit einem aufgezeichneten File (vermutlich kann keiner richtig hochdeutsch) uns auf den Paragraphen xyz des sächsischen Polizeigesetzes hinweist und was wir laut dem alles nicht mit ins Stadion nehmen dürfen. Offensichtlich wider Erwarten der sächsischen Beamten häufen sich am Eingang keine Berge von unauffällig fallen gelassenen Baseballschlägern, Latten und Schusswaffen. Kaum eingelassen, machen wir uns an den Aufstieg, uns dem monetär beeinflussten Schicksal in den Weg zu stellen.
Einen Grundsatz haben wir charakterlosen Boykottbrecher aber doch, den wir nur preisgeben, wenn gesundheitliche Umstände uns dazu zwingen. Im Stadion wird nichts gekauft, außer eben Wasser. Diesmal sind die Parzen mit uns und haben das Kassensystem stadionweit crashen lassen. So wird stimmungsbesänftigend das Wasser ohne den zu entrichtenden Gegenwert herausgegeben, bis sich jemand wohl der alten Weisheit “Reboot tut gut” erinnerte und die Kartenleser sich wieder knechten lassen.
Trotz des wenige Minuten später gut funktionierenden Schweigeprotestes, bemerkenswert hier, dass es diesmal keine hinweisende Durchsage der Capos gab, wird von vielen Unionern dennoch reichlich konsumiert. Was ein wenig irritiert, wie ich finde. Bei Familien mit Kindern finde ich es ja in Ordnung, denen was zu essen oder zu trinken zu kaufen. Aber wir Ausgewachsenen werden doch uns selbst und unsere Bedürfnisse mal für 2 Stunden für ein höheres Ziel zurückstellen können.
Gar kein Verständnis habe ich dafür, dass auch RB-Produkte getrunken werden. Dann kann man nachvollziehbar auf den Gedanken kommen, dass dieser Protest doch nicht mehr als Folklore ist. Vielleicht bin ich ja da zu fundamentalistisch, aber wenn man gegen das Geschäftsmodell von RB ist, kann man sich doch nicht mal locker flockig die Cola von denen reinballern. RB nur im Fußball abzulehnen, ist bigott. Alles, worin die sich aus Fuschl am See engagieren, ist in dem Augenblick abzulehnen.
(Achtung Radcontent!) Ich mochte den Rennfahrer Wout van Aert sehr – bis zu dem Augenblick, wo er mit dem Bullenlogo am Helm fuhr. Von der Denk-Truppe mal ganz zu schweigen. Oder Zehnkämpfer Niklas Kaul und Skispringer Andreas Wellinger, die “gefuschlt” werden. Ich wünsche denen nichts Schlechtes, aber sportlicher Misserfolg wird mich ganz sicher nicht betrüben. Im Gegenteil! Womit wir wieder bei der oben schon beschriebenen Protesthistorie wären. Und wenn die uns als vermeintlich gute Gastgeber unsere Hymne anbieten, dann singe ich nicht mit, von denen will ich nichts – das sind griechische Geschenke.
Tim T. grölt noch immer so als müsste er einen Sportpalast akustisch füllen. Sich überschlagende Stimmen sind genauso unangenehm wie über den Lenker vom Fahrrad abzusteigen. Ich verzeih ihm aber, dass er behauptet, Leipzig sei die schönste Stadt der Welt – der Mann stammt aus Hannover!
Aber das fünfzehnminütige Schweigen haben wir AuswärtsfahrerInnen zumindest so verinnerlicht, dass es auch ohne Ansage funktionierte, wenn auch mit spielbezogenen Aufregern. Ebenso erstaunlich war, dass deren “Kurve” sich recht lautstark engagierte und nicht nur “die Leipziger Jungs” bis zur Kotzgrenze intonierte, sondern schon hörbar sein wollte. Aber der Rest des, trotz von anderen anders wahrgenommen, doch sehr volle Stadion (auch Abneigung zieht) beherrscht in ganz wunderbarer Weise die Fähigkeit, Stille zu erzeugen, die alle Geräusche wie ein Schwarzes Loch aufsaugt. Selten war es auf den Geraden eines Stadions leiser. Trotz des Versuches der “RB-Ultras” in der vierzehnten Minute die eigene Lautstärke zu steigern, gelingt uns ein schön donnerndes Schweigenbrechen.
Es sind noch fünfzehn Minuten bis festgestellt werden wird, dass unsere Abwehr stabiler als gewisse flüsseüberspannende Bauwerke ist. Weiterhin kann festgestellt werden, dass Xavi Simons sein Soll an vergossenen Tränen schon in diesem frühen Stadium des Spiels übererfüllt hat. Vermutlich auch wegen der Respektlosigkeit der Berliner socialmedia-Terroristen. Ich will ja nicht als jemand gelten, der zu maßlosen Übertreibungen neigt, aber ich bin mir sicher, kleine Pfützchen auf den Laufwegen von Xavi gesehen zu haben. Die Tim-Walter-Gedächtnismedaille für den Heultimi des Wochenendes würde ich daher an Xavi Simons vergeben. Damit ging es dann auch schon in die Pause.
Nach der Pause hielt Freddie einen Elfer, faustete einen Freistoß heraus, köpfte Rothe etwas zu zentral und schoss Aljosha knapp am Tor vorbei. Nach dem für sie unbefriedigenden Ergebnis eilten die Kunden zügig nach hause.
Wir wurden wieder zum Bahnhof geshuttlet, was länger dauert, wenn man mit allen anderen im Stau steht. (hic Verkehrskonzept!) Aber es ist Zeit genug in einst Europas größtem Kopfbahnhof, sich mit Essen und Getränken zu versorgen. Auch zurück ist die Fahrzeit von angenehmer Kürze, so dass wir zeitig in der schönen (nicht der schönsten) Stadt ankommen, so dass man gut ausgeschlafen am Sonntag zum Flohmarkt und Spiel der Frauen gegen den Tabellenführer aus Weinberg konnte.
Wie wenig Tabellenerster am zweiten Spieltag etwas wert ist, zeigten unsere Frauen auf eine sehr souveräne Weise und filetierten Weinberg mit 2:0. Was mir besonders gut gefallen hat, dass wegen vorhergehender schlechter Abseitsentscheidungen, das Stadion anfing, bei jeder auf’s Tor stürmenden Unionerin, laut “Abseits, abseits!!” zu rufen. Diese sehr wunderbare Ironie wünschte ich mir bei so manchen Spiel der Männer zurück.