Starcar Episode 33: Der Fußballgott schlägt zurück

Hoth liegt im Friedrichshain 

Kurz vor den Iden des Mai fuhr eine mittelgroße Schar von Anhängern des gepflegten Fußballterrorismus (dein Name sei gebehrent) auf der Flucht vor der Realität tief ins Schalker Land. Denn dort kennt man sich mit der schönen Realität im Schlechten aus. 

Die Vasallen der dunklen Seite von Starcar haben vergeblich versucht uns aufzuhalten, indem sie unsere Fahrzeugbuchung als nicht wirkmächtig genug erachteten. Aber mit der mit uns seienden Macht und fast allem, was sich an Fahrzeugen auftreiben ließ, ging es in feiertäglicher Geschwindigkeit ins Münsterländische. Dort, wo vor ein paar Jahren der Westfälische Friede ausverhandelt wurde, suchten wir gemeinsam den Weg, einen Frieden mit dieser Saison zu machen. In Ramsdorf wurden wir erst mit der Hymne begrüßt, dann mit Umarmungen und zu guter Letzt mit Kaffee und Anislikör-Waffeln. Wobei man sagen muss, dass die Anislikör-Waffeln erst in uns zu solchen wurden.  

Alle Reisemüdigkeit wird von der warmen Frühsommersonne aufgesogen. An den gedeckten Tafeln gruppieren sich nicht nur die Menschen zum Kennenlernen und Quatschen, sondern auch darauf immer mehr Gläser und Fläschchen. Bevor es zu gemütlich wird, geht die Hotelgruppe in das ortsansässige Hotel Rave, die gebuchten Zimmer beziehen. Auch dort scheint der Feiertag, der mit noch etwas religiösem Restbezug zum Vater-, bzw je weiter östlicher man sich in der Republik befindet zum Herrentag mit entsprechendem Alkoholgenuss mutierte, nicht gänzlich spurlos am Personal vorbeigegangen zu sein. Aber alle bekommen einen klassischen Schlüssel ausgehändigt. Endlich mal eine langfristige Buchung, die auch hält, was sie verspricht. Das Zimmer ist unter dem Dach und hat demzufolge an einigen Stellen Schrägen und heißt Sahara. Die Zimmer der anderen sind nach bekannten Hollywoodgrößen benannt.

Frisch geduscht und abgeholt von den zwei Bernedoodles Merle und Rudi, treten wir den nicht allzu langen Rückweg an. Dort erwartet uns mit Tafelspitz an Zwiebelsauce und vegetarischem Hähnchen ein Mahl, dessen abendlicher Beginn lediglich der Auftakt war für ein Beisammensein tief in den freitäglichen Morgen hinein ist.

Die kibbelige Frikandelverschwörung

Der Freitag, der dem bezahlten Lohnarbeiter ein vorgearbeiteter Brückentag ist, beginnt mit einer gewollt lauwarmen Dusche und Hotelfrühstück! Leider nur mit gekochten Eiern, obwohl doch zu einem guten Frühstück in einem Hotel ein schlechtes Rührei aus dem Tetrapak gehört. Das kann nur der Nähe zu Holland geschuldet sein.

Der Ernsthaftigkeit der kommenden Aufgabe angemessen, speisen wir bei gedämpfter Unterhaltung die gestrigen Getränke weg. Für den anstrengenden Weg zum Basislager durch den frühsommerlich duftenden Ort sind wir damit ausreichend gerüstet.

Dort angekommen bekämpfen wir die Wirkungen des letzten Abends weiter mit koffeinhaltigen Heißgetränken und teilen die Gruppen ein, in denen wir in den Repräsentationsbereich derer von Oranien-Nassau fahren wollen. Kaum ein Dutzend Kilometer weiter westlich liegt die östlichste Stadt des Gelderlands: Winterswijk, neben der mittlerweile nicht mehr ganz so einträglichen Textil- und Baustoffindustrie bekannt als größter “Supermarkt des Ruhrgebietes”.

Dementsprechend sind große Supermärkte zahlreich wie die dazugehörigen Parkplätze. Von dort flanieren wir entlang pittoresker Geschäftsstraßen zum Zentrum, wo die Jacobskerk schon im Namen andeutet, dass hier der Weg nach Compostela nicht fern ist. Wir Fußballpilgerer bevorraten uns in den umliegenden Restaurationen lieber mit Frikandel und Pommes statt höhere Mächte anzurufen. Unsere höheren Mächte sind eh polytheistisch und bevorzugen das Grün einer mit Toren und Rängen begrenzten Wiese als Andachtsstätte.  

Mit reichlich frei erhältlichen pharmazeutischem und semipharmazeutischem Drogerieprodukten verlassen wir das royale Gelderland und streben zurück ins republikanische Münsterland, um die Nachkommenden abholen und angemessen begrüßen zu können. 

Sitz ich beim Schwager vorn…

Zuggruppe 1 kommt im Basislager Ramsdorf an. Gerade rechtzeitig genug, um nach kurzer Begrüßung mit Kaffee am Stadtrundgang teilzunehmen. Ramsdorf, der ältere Teil der heutigen Stadt Velen-Ramsdorf. Wir Ramsdorfer der Herzen teilen den Schmerz der Weltungerechtigkeit, dass das im frühen 14. Jahrhundert zum Wigbold, einer minderen Form des Stadtrechtes, erhobene Ramsdorf die sich andeutende strahlende Zukunft einer großen Stadt versagt blieb. Nur, um keine 650 Jahre später mit dem natürlich historisch bedeutungsschwächeren V* zusammengeschlossen zu werden. Beginnend an der Burg und ihrem äußerst gepflegten Vorplatz mit frisch beschnittenen Bäumen, erfahren wir nicht nur Beschauliches. So stehen eine Reihe von zentnerschweren Pflanzenkübeln nicht an dem vorgesehenen, den Platz begrenzenden Platz, sondern auf gepflasterten Parkplätzen! Wir widerstehen der Versuchung, Witzchen über unfertige Bauvorhaben mit BER-Bezug zu machen, zumal auch das hier in Ramsdorf vermutlich auf ehrenamtlichem Engagement fußt. Wir schlendern durch die Einkaufsmeile Ramsdorfs in Richtung St. Walburga, dem sicher größten Gebäude im Ort.

Bei der dreiviertel Umrundung passieren wir das lebendige Museum, einer alten Schmiede, die von pensionierten Eisenbiegern betrieben wird. Der Standort hingegen ist historisch so ungenau wie das Stadtrecht von Velen. In der guten alten Zeit betrieb man keine Schmieden im Bereich von Kirchen. Zu groß die Gefahr von Bränden. Angesichts der langen Bauzeit von Häusern zu Ehren des Herrn ist das auch heute noch eine weise Entscheidung. Ja, looking at you – Notre Dame! Im Innern ist die Größe von St. Walburga noch mal beeindruckender. Auch, dass die Figurinen an den Konsolen der Pfeiler “Düwelkes” (Teufelchen) genannt werden, ist ein schönes Zeichen für die Dualität von Gut und Böse.

Kaum beschrieben werden kann die Akustik, weswegen Stadtführer Martin zum Organisten Martin wurde. Mit einem nicht nur in der Kirche nachhallenden “Ave Maria”, sondern auch in unserer Zuversicht für den morgigen Tag der Entscheidung, verlassen wir St.Walburga, die übrigens eine Nichte von Bonifatius, dem Apostel der Deutschen, gewesen sein soll. Den Stadtrundgang beschließen wir im “Anna van Hook”. Auf den ersten Blick eine Bierausschankstelle wie so viele andere auch. Aber das Besondere liegt in der Art wie sie betrieben wird – nämlich als eine Genossenschaft. Um die Schließung zu verhindern und damit einen Ort sozialer Begegnung zu erhalten, schlossen sich rund dreihundert BürgerInnen zu einer Genossenschaft zusammen. Chapeau, Chapeau Ramsdorf!

Zurück am Basislager. Dort wartet schon Max mit seinem Zweispänner auf unseren wilden Haufen. Damit die Getränkehalter nicht ungenutzt bleiben, haben wir nicht nur uns, sondern auch eine Kiste Bier auf die Kremserladefläche gehievt. Unser ÖPNV-Obmann sitzt beim Schwager vorn. Und los geht die wilde Fahrt. Nachdem wir die mit Wohnbauten gesäumten Pfade verlassen haben, versuchen wir jedes auf seiner Weide stehende Rindvieh in eine Identitätskrise zu stürzen – “ Alle Bullen sind Schweineeee…”. Die missachten uns mit der stoischen Gelassenheit des Einheimischen gegenüber eines Touristen. Während wir hinten das eiserne Gesangbuch abarbeiten, tauschen sich vorn M und M über die Vorzüge und Nachteile der öffentlichen Personenbeförderung aus. Und mit einiger Sicherheit kann man sagen, dass das Berliner M eine integrierte Weiterbildungsmaßnahme erhalten hat. Sollte die BVG jemals eine Rückkehr zu Pferdebahnen erwägen, so hat sie einen vorgebildeten Mitarbeiter in ihren Reihen. Mit ein paar Unterbrechungen, in denen wir der notleidenden Landwirtschaft düngend zur Seite stehen, gelangen wir eine leere Bierkiste später wieder in Ramsdorf-Basislager an.

Dort haben unsere bewundernswerten Gastgeber während unserer Kutschfahrt nicht nur einen Grill vorgeheizt. Steak, Bratwurst, Gemüse und Surrogate brutzeln auf den eisernen Rosten und werden von uns hungrigen Kutschreisenden erwartungsfroh auf die Teller gepackt. So füllt sich nicht nur so mancher Bauch, sondern auch die Zeit mit Stunden und die Sonne weicht dem Dunkel einer weiteren Frühsommernacht. Schon in den ersten Stunden des so wichtigen Spieltages zeigen sich am Nachthimmel über Ramsdorf Polarlichter. Ob es ein Glückszeichen ist, wie es der eine oder andere von uns deuten möchte, sei dahingestellt. Aber es korreliert ganz sicher mit dem “Meteoritenfall von Ramsdorf” 66 (!) Jahre zuvor.

Das Wunder von Müngersdorf oder Kölle am A*?

Samstagmorgen, ein weiteres Hotelfrühstück. Doch der kleine, beschauliche Raum für die Einnahme von schlafmangelvertreibendem Kaffee und Frühstücksei hat sich vergrößert. Eine Wand wurde aufgefaltet und bietet Platz für ein weiteres Büffet. Die Leute vom “Ramsdorfer Kreisel” bauen ihren Beamer und die Soundanlage auf, denn auch in der Liga, in die wir nicht zurück wollen, wird heute gespielt. Letztes Heimspiel von Schalke in dieser Saison. Das begehen sie hier traditionell gemeinsam mit einem frühschoppigen Frühstück.

Wir frotzeln freundlich einander an. Angebotene Mitgliedsanträge lehnen wir dankend ab. Wir sind so kleinherzig, dass eben nur ein Verein darin Platz hat (mit regelbestätigenden Ausnahmen). Aber eines zeigt diese Frühstücksszene sehr deutlich: bei Vereinen mit hoher Mitgliederzahl und noch höherer Fanschar bilden sich neben dem Stadionbesuch eben auch andere Rituale heraus, den eigenen Verein zu erleben. Kein Stadion kann groß genug sein, dass jeder Schalker hingehen kann, wenn er es möchte. Und auch eine zukünftige Försterei wird das bei uns nur bedingt lösen können.

Jetzt aber nicht festschnacken –  wir haben einen Bus zu bekommen

Zu einer Zeit, wo die Zuggruppe 2 bereits im Schatten der Kölner Bahnhofskapelle Kaffee und die ersten Kölsch zu sich nehmen könnten, flanieren wir gemächlichen Schrittes zur Bushaltestelle von Ramsdorf. Wir wünschen den uns entgegenkommenden Kommunionskindern einen schönen Tag und insgeheim uns auch. Die Stimmung, ob des immer näherkommenden Spieles, ist angespannt zuversichtlich. Mit dem eigens für  uns gebuchten Bus gleiten wir auf der A57 durch den mittlerweile sehr grünen Ruhrpott und jedes an Ausfahrten und Brücken befindliche Graffity markiert das Besondere der Fußballkultur in dieser Gegend.

Müngersdorf ist schon reichlich rot-weiß gefärbt. Das liegt nur bedingt an unserem Rotweiß, denn der Effzeh-Fan trinkt sich auch eine Weile vor einem Spiel gern schon etwas in Stimmung. Die Gründe scheinen bei ihnen dringlicher als bei uns zu sein. An dem für unseren Bus vorgesehenen Parkplatz erwartet uns Zuggruppe 2, weniger angekölscht als schändlicherweise vermutet.

Wie üblich streben die Eiligen unserer Gruppe zum Gästeeingang. Auch wie üblich hat die Verkehrssituation im Bereich des Stadions Bundesliganiveau. Die mit uns laufenden Kölner sondieren uns mit einem Blick, als glaubten sie den berühmten rettenden Strohhalm bei uns zu finden. Im Block stoßen wir zu den anderen und so ist unser grenzenloser Mob gut drei Dutzend groß. 

In den ersten zwanzig Minuten sehen wir alle unsere Hoffnungen von platzenden Knoten bestätigt. Endlich, endlich! Die Freude darüber entlädt sich in mehreren ekstatischen Bierduschen. Spätestens jetzt haben wir das Stadion übernommen. Rechts und links sitzen alle in einem paralytischem Wachkoma. Der FC auf dem Platz steht mit rudernden Armen an der Klippe und von unten winken Schalke, Hertha, der Glubb, der kleine und große HSV wie einst die Nixe in Goethes Ballade “Der Fischer”. Was soll jetzt noch passieren? Nun ja, ein Anschlusstreffer. 

In der Pause trinken wir uns Mut zu, und beschwören die Macht der Führung. In den Getränken der Spieler scheint weniger Mut gewesen zu sein. Egal, das machen wir mit Lautstärke wett. Leichte Sache das hier im Rheinenergiedingsbums zu machen, denn Energie scheinen die mit Stroh zu erzeugen. Und es hilft ganz gut, auch wenn die Weißen in der Agonie noch etwas Lebensenergie gefunden zu haben scheinen.

Mit der Auswechslung von Rous scheint eine Art Zombiesekret an die Gastgeber ausgegeben worden zu sein. Je näher das Ende naht, desto mehr entdecken die Kölner eine rockyartige Standfestigkeit und die Unsrigen zittern. “Noch zehn Minuten bis Buffalo.” Diese zehn Minuten können getrost als Beweis für die Möglichkeit einer Zombieapokalypse herhalten. Von den Elf auf’m Platz springt das Virus auf die Ränge und die komatösen Ränge erwachen. In uns ist eine wilde Mischung aus Wut, Enttäuschung, Trotz und Abscheu über die Freude der Todgeweihten. Dieses letzte Tor war schon eines wie ein Schlag in die Fresse und die Magengrube zugleich. Aber es war kein Niederschlag wie der von Apollo Creek.

Rückschlag trifft es eher. Es war mehr so ein Moment wie der als Boba Fett mit dem eingfrorenen Han Solo davonfliegt und man selbst als Geisel Vaders in der Stadt der Wolken zurückbleibt. Bei aller scheinbaren Finsternis um uns herum gibt es noch einen Hoffnungsstreif an einem fern scheinenden Horizont. Das zu erkennen, brauchen wir aber alle Zeit. Jede/r unterschiedlich lang. Und nachdem “Was hat der BVB jemals für uns getan?”-Dortmund nicht mit uns ist, lernen wir uns im Bus alle in einer dunklen Stunden kennen. Und wie unterschiedlich der Umgang mit endgültig erscheinender Enttäuschung sein kann. Die einen flüchten sich in Galgenhumor und Übersprungshandlungen, die anderen in verzweifelten Zorn und Trauer. 

Das abendliche Beisammensein war dann stiller und jede/r ein wenig in sich gekehrter als wir es geplant hatten. Nichtsdestotrotz statten wir der “Anna van Hook” den versprochenen zweiten Besuch ab und trinken wie zum Detoxen das älteste Altbier und Anislikör. Der nahenden Abreise geschuldet, wird der Abend kürzer und die wieder am nächtlichen Himmel erscheinenden Polarlichter können uns mal. Obwohl vielleicht gerade sie der Streif Hoffnung am Horizont sein könnten.

Epilog

Da das alles nicht zustande gekommen wäre ohne die verrückte Gastfreundschaft, die wir erfahren durften, sagen wir mit aller in uns seiender Herzenswärme: Danke an Marlies und Martin, Anette und Frank, Kutscher Max und ein besonderes Hoch auf unseren Busfahrer, der während des Spiels Opa wurde. Danke, Danke, Danke!

Eine Antwort auf „Starcar Episode 33: Der Fußballgott schlägt zurück“

  1. Lieber Tom –
    Wir haben uns sehr über Deinen Bericht gefreut – danke dafür 🥰
    Eure Truppe ist so herrlich unkompliziert und es war uns eine Ehre und Freude euch als Gäste unseres beschaulichen Ramsdorf hier zu haben – bei eurem nächsten Besuch in Ramsdorf gibt es dann extra für Euch Eisernen eine Führung in unserer „alten Schmiede“ – mit anschließendem Besuch bei AvH – versprochen –
    herzliche Grüße vom Basislager (Marlies , Martin, Annette, Frank, Rudi und Merle 🐾)

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