Frankfurter Frühlingserwachen

Kurz bevor Strom und Bäche, vom Eise befreit, Hoffnungsglück durch die Lande schicken, sind wir nochmal in die Weiten der Mainebene gefahren, um der Eintracht eisige Schauer zu bereiten. Dem Ende der Fastenzeit angemessen, haben wir reichlich Vorräte gebunkert. Je größer die reisende Gruppe, desto größer das Bestreben des Einzelnen einen Beitrag für die Versorgung der Gruppe zu leisten.

Die Abarbeitung der Infrastrukturschulden bei der Bahn sorgen dafür, dass die Fahrt etwas länger währt und das ist auch gut so – wir haben ja auch eine Playlist zu füllen. Nicht nur ob des mitgeführten Alkohols ist die Stimmung eine sorgenbefreitere als noch zu Jahresbeginn. Die Lücke zu den Abstiegsplätzen ist trügerisch groß genug, dass wir wieder mit entsprechend großer Fres… äh Selbstbewußtsein in die Stadt des Mammons reisen.

Dort residiert übrigens einer der schlecht gelauntesten Tabellensechsten, die es je in der Bundesliga gegeben hat. Vielleicht waren die Kölner in unserem gemeinsamen Aufstiegsjahr noch schlechterer Stimmung als Tabellenerster der zweiten Bundesliga.

Durch den Frankfurter Hauptbahnhof eilend, könnte auch unsere Laune getrübt werden, ob der miserablen Gepäckfachsituation. Nach einem für Außenstehende nicht zu erkennendem Prinzip scheinen der größte Teil der Fächer außer Funktion zu sein. Auch die rückseitig schon installierten neuen Gepäckfächer sind keine Lösung, da sie noch nicht in Betrieb genommen wurden, so dass uns die Möglichkeit, bargeldlos ein Schließfach zu nehmen, für diese Saison verschlossen bleibt.

Aber ein kleiner Streif am Horizont der kommenden Saison ist erkennbar. Das nicht stadiontaugliche Gepäck loszuwerden, bleibt uns aber immer noch. In einem bahnhofsnahen Hotel werden wir von dieser Sorge befreit. Ganz ohne Kosten, nur für ein Dankeschön.

Entlang einer in den Siebziger Jahren zusammenbetonierten hässlichen Arkade, vorbei an den in den Bögen stehenden Dealern, die vermutlich in einer Art Schlussverkauf die letzten illegal gezogenen THC-haltigen Produkte feil bieten, schließen wir uns wieder mit dem schon essenden Teil der Gruppe zusammen. Unsere Stimmung ist wieder österlich leicht, trotz der durch Fahrplanänderungen durchkreuzten Speisepläne. Die wir in größter Flexibilität schon auf die Zeit nach dem Spiel gelegt hatten und die durch wegfallende Abfahrtszeiten samt den dazugehörenden Zügen dann doch lethal erledigt wurden. So nahmen wir Variationen von Fritten statt grüner Sauce.

Mit kulinarisch nur mäßig gefüllten Bäuchen fließen wir mit den Massen wieder in den Bahnhof zurück und dort in den Untergrund, wo dem Zugverkehr beide Richtungen offenstehen. Mit der lokalen S9 und gemeinsam mit vielen Eintrachtlern fahren wir die zwei Stationen entsprechend einträchtig zum Stadion. Den reisenden UnionerInnen gibt ja jede Anmutung von Waldweg ein heimisches Gefühl. In diesem wohligen Gefühl flanieren wir den Weg entlang. Von Ferne winkt uns schon der Lohn für den Weg – der Bierstand. Kurz bevor wir ihn erreichen, um wie all die Jahre zuvor ein erstes Bier am Stadion zu trinken, erreicht uns ein geharnischtes Sixpack von Ordnungshütern, um uns vor uns selbst und unseren Leichtsinn zu schützen.

Aber weil die messerwetzenden Eintrachtler vermutlich alle noch beim Frühstück waren, schlugen wir die Warnungen in den Wind und drängten uns durch die Leere des Platzes zum Bierstand. Mit Bechern Bier bewaffnet kämpfen wir uns zu dem von uns traditionell bevorzugten Eingang E4 vor. Der ist grundsätzlich von seiner Lage her einer für die Heimfans, aber zumindest wir Unioner gehen da seit Jahren auch rein. Doch die EM wirft ihre sicherheitsrelevanten Schatten voraus und so springen uns Ordner bei, um uns vor der Frustration einer Zurückweisung zu bewahren. Aber auch hier schlagen wir mit der uns eigenen pubertären Leichtigkeit der Weltbetrachtung die so gut gemeinten Hinweise in den wolkenverhangenen Frankfurter Himmel.

Mit der Strenge eines Eisverkäufers werden wir von den Ordnern am Eingang kontrolliert und spazieren inmitten von Eintrachtlern zu unserem Block. Einige frotzeln ein wenig, was auch gut so ist – denn so viel Flausch kann ja auch wirklich keiner wollen. Einigermaßen zeitig im Block zu sein, hat unbestritten den Vorteil, dass man sich einen schönen Platz aussuchen kann, von dem man hoffen kann, dass nicht allzu viele Fahnen einem dauerhaft die Sicht nehmen. Unsere eigene Zaunfahne überlassen wir der Szene, die sie sehr gekonnt anbringt. Wobei wir feststellen, dass wir für ein erleichtertes Anbringen die Schnüre etwas permanenter befestigen müssen. Was sicher etwas nachhaltiger ist, als jedes Mal einen Meter Klebeband zu verbrauchen.

Nachhaltig ist auch die Versorgung im Stadion. Mit der schwindenden Sattheit durch die Frittenvariation erscheint mir eine Käsebrezel recht verlockend. Ist sie doch bei uns im Stadion ein erwärmtes Gebäck zu einem vertretbaren Obolus. Für ein halbes Dutzend Euros wechseln hier die Besitzverhältnisse. Doch kostenfrei bekommt man die Enttäuschung mitgeliefert. Der Brezel zu unterstellen, dass sie schon Tage zuvor, das Länderspiel gegen die Niederlande erlebt hat, ist ganz sicher eine nicht zu verstiegende These. Aber nachhaltig ist es schon… dieses alte Backwerk.

Vor dem Spiel hätten wir das schlussendliche Ergebnis genauso genommen und wären froh heimgefahren. Froh waren wir, aber der kleine Stachel, dass da mehr drin gewesen wäre, piekste schon ein wenig. Nichtsdestotrotz begingen wir dieses torlose Spiel wie einen Sieg und die einheimischen Fans fühlten den kalten Schauer der vermeintlich schlechten Saison. Auch, weil natürlich eine Mannschaft, die in jüngerer Zeit zwei Pokale gewonnen hat, von deren Fans mit der Erwartung betrachtet wird, dass man den taumelnden Emporkömmling bei aller Sympathie und allem Respekt wegputzen muss. Und schön Anzuschauen soll es auch noch sein. Ham se aber nicht.

Die Weisheit der Bahn will es, dass man erst westlich reisen muss, um dann gen Osten in die heimatlichen Gefilde zu fahren. Wir schlichten Gemüter hätten gedacht, von Frankfurt aus sich nordöstlich zu halten, wäre eine gute Option, um in die schöne Stadt zu gelangen. Aber die Weisen der Fahrplangestaltung fanden, dass die, die sich Ostersamstag durchs Land bewegen, nicht um den Anblick des nächtlichen Kölns betrogen werden sollen.

Auf Sankt Petrus brannte tatsächlich noch Licht. Die der Auferstehung Anhängenden suchten mit der nächtlichen Einkehr in die Hohe Domkirche, die seelische Erbauung, die Ihnen der ortsansässige FC derzeit versagt. Der einfahrende Zug nach Berlin verhindert, dass wir in der Kühle der Osternacht jakegleich* Salto schlagend über den Bahnsteig geflogen wären, ob der in uns fahrenden religiösen Erleuchtung.

Mit knapper Not, also pünktlicher Abfahrt sind wir entkommen. Wir okkupieren unsere gebuchten Plätze (ein dreifaches Hurra auf unsere Reiseleiterin) und unterhaltungsmäßig den Waggon. Mit Trinken, Essen, Musik, Schlummern und Gesprächen mit einer Wolfsburger-Baskischen Familie, die, in dem unerschütterlichen Glauben, der Zug hielte auch in der Autostadt, nach Hause fahren, gleiten wir durch die Nacht.

In der Osternacht geschehen Wunder – nach dem tatsächlichen Halt in Wolfsburg fliegt der Zug der Schönen Stadt entgegen. Berlin empfängt uns mit der Milde einer Frühlingsnacht und wir nehmen leichten Herzens die letzten Wege nach Hause mit einem Gefühl von Zuversicht.

*Szene aus “Blues Brothers”, Jake Blues schlägt erleuchtet Saltos und will die Band wieder zusammenbringen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert