“Glotzt nicht so romantisch!”

Augsburg, bekannt für die Fugger und Bertolt Brecht, ist eine jener Städte in der Republik, die sich von der Größe her nur mit Mühe mit einem der Berliner Bezirke vergleichen können. Aber über deutlich mehr politischen Gestaltungsspielraum verfügen.

Am hübsch zentral gelegenen Hauptbahnhof laufen einem die Indigenen in ihren kunstvoll aus Tierhäuten und -haaren gestalteten Trachten entgegen und strahlen einem ein Servus entgegen. Wir müssen uns aber nicht ärgern, unsere Glasperlen daheim gelassen zu haben. Denn hier nahe Klein-Anfield gibt es kein zukünftiges Manhattan zu ergaunern. Es ist lediglich eines dieser von berauschenden Substanzen völlig freien Volksfeste in Bayern, für das sie sich so herausgeputzt haben. Also nicht plärren, sondern saufen.

Die Stadt Augsburg gibt sich ähnlich herausgeputzt wie ihre Einwohner. Da lohnt mal sich ein oberflächlicher Blick hinter die so paradiesische Fassade. Während wir in der “Schönen Stadt” selbst beim simplen Überqueren im Grünstreifen zwischen Trottuar und Damm auf tonnenweise  Glück treffen, muss man hier glücklos auf die andere Seite der Straße wechseln.

Wenn wir uns in der Hauptstadt mal bei unserem Streetfood vertan haben, können wir es versehentlich fallen lassen und noch bevor es den Boden berührt haben wird, haben sich eine Schar Spatzen, Stare, Tauben und Waschbären darüber hergemacht. Falls doch noch etwas unten ankommt, dann kann man es mit einem “Ach, das ist jetzt ja schade!” liegenlassen, weil alles nur mikroskopisch sichtbare Leben es in Minutenschnelle weiterverarbeitet. In Augsburg hast du diese Gelegenheit nicht. Hier biste jezwungen, weilde ja nüscht wegwirfst, wat noch jut ist, es aufzuheben und kannst es getrost weiteressen. Es ist eben nicht alles Gold, was glänzt.

Wo einst die Fugger den Lindner für die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, lange bevor es glaubte Deutscher Nation zu sein, machten gaben im Heute Investoren dem etwas kleineren FCA Geld zur Steigerung der Fußballleidenschaft im bayerischen Schwaben.

Herausgekommen ist ein ganz ansehnliches Stadion, abseits des Zentrums umgeben von Parkplätzen und austauschbaren Zweckbauten. Aber im Stadion ist es ganz schön. Mit wenig Mühe kann man sich Klein-Anfield stimmungsmäßig erobern, selbst bei Rückstand, zumindest auf den Rängen. 

Es gibt so Tage, da liegt in einem Augsburger Kabinengang ein in der Pause verlorener Faden. Da verspringen, möglicherweise in Vorfreude auf seinen Geburtstag, András Bälle weiter als beim allerersten Mal Fußballspielen auf einem Bolzplatz in der ungarischen Provinz. Da hat Diogo seinen Luthe-Moment, hat aber im Gegensatz zu wie so oft Andi Luthe keine Chance zur Korrektur. Da fliegen die Talentierten durch Augsburger Abwehr wie Lindsay Vonn durch die Slalomstangen, nur um an der letzten Stange hängen zu bleiben. Da sehen wir uns einen halben, dennoch erfolgreichen Michelbehrens an. Da glotzen wir alle, im Brechtschen Sinne, nicht mehr romantisch. Nehmen wir auf den Rängen illusionsbefreit die harte Realität zur Kenntnis. Mehr aber auch nicht. Die Realität ist für den Trainer und die Mannschaft – uns kann sie mal. Wir singen uns in eine bunt gemischte Trance aus Trost für die Mannschaft, Stolz auf uns selbst und der Weigerung, jetzt hier betrübt zu sein.  Es sind verdammt noch mal noch immer die Besten aller Tage.

Als im Stadion das Licht ausgemacht wird, realisieren wir die Realität, die in Bayern Sperrstunde heißt. Mit einer gut gefüllten Straßenbahn zurück in die Stadt. Die Fahrt dauert lang genug, um noch eine an einem Freitagabend geöffnete Lokalität zu finden, wo wir den weggesungenen Schmerz auch noch runterspülen können. Im Ratskeller des naheliegender Weise Augsburger Rathaus’ gelingt uns das. Es ist übrigens ein ganz hübsch anzuschauendes Gewölbe.

Ansonsten wird Augsburg offensichtlich ab Acht stückweise abgeschaltet. Ein, zwei auch so genannte Spätis sind noch offen, wo sich alle noch Durstigen konzentrieren. Der Sportlichste in unserem Trio will ob kommender Paddel-Herausforderungen zeitig ins Hotel und schiebt um nicht allzu strebsam rüber zu kommen eine frühe Abfahrt vor. In den noch jungen, spielfreien Samstag hinein gehen wir durch fast leere Straßen, ein jeder in sein Hotel. Am nächsten Morgen zieht es uns wie einst Brecht auch wieder nach Berlin und in ein Wochenende, dass sie historisch nennen werden.

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