Eine Verachtung
Ein Reisebericht von Tom und Conny
Prolog
Kurze Auswärtsfahrten sind allen nordöstlich beheimateten Fußballvereinen wie deren Anhängern nur selten gegeben. Schön wäre es, man träfe auf echte Rivalität, einer grünweißen, einer blaugelben Ablehnung, die von dem Respekt genährt wird, dass es ja Gegner in einem Wettbewerb braucht. Dies ist uns nicht vergönnt. Wir fahren nach Wolfsburg, wo es wenig Schönes gibt. Wir fahren nach Leipzig, das deutlich schöner und liebenswerter ist, wäre da nicht inmitten der Stadt wie eine entzündete Hautverunreinigung: das Zentralstadion, das sie jetzt Arena nennen. Wie ein in Zement gegossenes Symbol für all das in ihm hausende Schlechte und Falsche liegt es da und beleidigt durch bloßes Sein die Gefühle eines jeden Anreisenden, den die Zuneigung zu seinem Verein dahin kommen lässt und nicht die Freude auf einen Ort, wo Fußballkultur zelebriert wird. Dieser Ort ist die widerwärtige Spitze der Helene-Fischerisierung eines Spieltags.
Der Reisebericht
Dementsprechend klein war auf dieser Auswärtsfahrt die Reisegruppe – nun ja, zwei Leute sind ja nicht mal eine Gruppe – die anderen blieben wohlüberlegt fern, schauten das Spiel gemeinsam in großer Gruppe im Vereinsheim. Wir als Auswärtsduo reisten gegen Mittag an. Der erste Lichtblick: Der Mannschaftsbus fuhr direkt vor unserer Nase lang, als wir aus dem Bahnhof traten. Ansonsten empfing uns Leipzig mit nebelig-diesigem Wetter. Wir schlenderten durch die Altstadt, kehrten hier und da ein, aßen, tranken, trafen andere Unioner, nahmen beste Wünsche für ein erfolgreiches Spiel von Chemieleipzigern entgegen.
Ein bisschen vertrödelten wir dabei die Zeit. Womöglich war es auch der innere Widerwille, der uns insgeheim aufhielt, uns auf den Weg des Geschehens zu machen. Zügigen Schrittes über schlidderige Modderwiesen erreichten wir dann doch das Zentralstadion. Den TTT (Tim-Thoelke Terror) hatten wir somit zum Glück größtenteils verpasst, allerdings nicht das konzern-inszenierte „Fanlied“. Natürlich eine Raubkopie und der traurige Versuch, Euphorie in Dosen abzufüllen.
Wir quetschten uns in einen der seitlichen Blöcke. Eine Schweigeminute für alle. Wie immer 15 Minuten weiterschweigen für uns, dann volle Stimmkraft voraus. Der neue, mehrstrophige Gesang „Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehen: Fußball Club Union Berlin!“ wurde mithilfe der Zettel, die die Szene am Eingang verteilt hatte, in der ersten Halbzeit im Block ausgiebig trainiert.
In der Pause und 1:0 im Rückstand mutmaßten wir, dass es heute wohl nicht reichen würde für einen Punktgewinn. Aber was wissen wir schon! Als ob das diese Mannschaft interessiert! („Union, Union, Union kann keiner bremsen!“ 🎶) Absolutes Bangertor von Janik Haberer, souverän getretenen Elfmeter von Robin Knoche – beides direkt vor unserem Block, der explodierte, und auch eine halbe Stunde nach Abpfiff noch laut sang und hüpfte. Geiler Sieg in einem Spiel gegen einen Gegner, den es gar nicht geben dürfte.
Epilog
Wem Protest dagegen immer noch wichtig ist, dem wird in totaler semantischer Verirrung Scheinheiligkeit vorgehalten. Aber nein, wir halten den Großindustriellen des Fußballs – wie des Sportgeschäfts – unsererseits entgegen. Wir meinen es ernst. Nichts von unserer Ablehnung ist vorgetäuscht, nur zum Schein getan oder ist gar klammheimlicher Neid. Nein, wir wollen nichts von dem, das euch behagt. Denn alles wird hässlich durch euch und selbst wenn ihr Gutes tut, ändert das nicht, das jeder Einzelne der Eurigen ein Teil in dem Getriebe der Hässlichkeit ist. Das Rot eures Stadions wird nie wärmen. Eure Chants werden immer leblos sein. Und mag der Fußball, den ihr betreibt wie andere einen Einkaufsmarkt auch erfolgreich sein, wird der Jubel der euch Folgenden darüber immer auch der Diebstahl von Gefühlen sein, die euch nicht gebühren. Euer kreischender Spektakelmoderator wird niemals die Gefühle der Vielen erfassen und eure Herzen berühren. So laut ihr uns beschallt, ihr werdet uns nicht übertönen. Euer Rotweiß wird nie die Strahlkraft des unsrigen erreichen. Ihr werdet immer die dunkle Seite sein!
Die Mannschaft blieb von all dem weitgehend unbeeindruckt und tat, was sie in diesem Jahr am besten kann – Spiele drehen. Sportliches Fazit: glücklich gewonnen, aber auch verdient.
Hab’s gern gelesen. Danke.