Endlich wieder Leipzig

Richtig gut geschlafen doch der Kopf tut trotzdem weh…

Nicht ganz befreit vom Würgereiz, welcher normaler Weise eine Auswärtsfahrt zum Konstrukt der Brause mit rotem Stier verursacht ging es diesmal für uns unerschrockenen Haufen in die sächsische kreisfreie Stadt um ein außergewöhnliches Spiel mal in der Neuzeit zu zelebrieren.

Nein. Diesmal war es nicht Klein-Mordor, was auf uns wartete um mal wieder in einer seelenlosen Arena mit viel Operetten Publikum plus Klatschhilfen zu zeigen das Geld manchmal auch Tore schießt, sondern alte Bekannte mit viel Tradition in grün und weiß, wie man sie in Leipzig sonst nicht trifft. Begangen wurde an diesem Tag ein „Testspiel“, was an ein Ereignis vor ca. 40 Jahren erinnern sollte.

Das ist Leutzsch, vergesst das nie!

Der Mai 1984 war ein kühler und regnerischer. Frische zwölf Grad vermeldeten die Wetterfrösche der FU in Dahlem und da sich das Wetter vermutlich nicht an Systemgrenzen gehalten hat, kann man die Werte sicher auch auf den der Zukunft zugewandten Teil getrost übertragen. Die Einen waren noch sehr klein, die anderen lungerten sich durch die Prüfungszeit. Wieder andere erlebten Historisches. Nicht so historisch groß wie Pokalsiege, ein Aufstieg oder gar Meisterschaften aber aufgrund seiner Einzigartigkeit unvergessen. Es sind mehrere Momente von Stolpern, Fallen und Wiederaufstehen, die sich in der gemeinsamen Erinnerung der Kontrahenten von einst zu Jahrhundertspielen verfestigten, die nur den Beteiligten etwas bedeuten. Die kollektive Fußballerinnerung hat diese Spiele, besonders seit die Speicher sehr weit westlich liegen, in den Nebel des Geschehenen gepackt, wo sie bestenfalls als Reminiszenz zu Jubiläen von direkt Beteiligten ein wenig heller beleuchtet werden. Man denke nur mal, die Charlottenburger hätten dies gegen Wattenscheid 09 erlebt. Die mediale Erinnerung wäre sicherlich eine größere.

Der 6. Juli 2024 aber war spürbar wärmer, aber auch ebenso regenanfällig wie 40 Jahre zuvor.

Ungewöhnlicher Weise begann unsere Reise für den „Frühaufsteher-Fanclub“ diesmal mit einer gefühlt entspannten Abfahrtzeit um 10:28 ab Berlin Hauptbahnhof, welche auch alle Teilnehmer erreichten. Im ICE 507 wartete bereits am Tisch eine Mitreisende, welche zwar mit Fußball nix anfangen konnte aber mit uns umso mehr Spaß hatte. Sie klopfte auch bei der ersten Runde Pfeffi noch ganz beherzt mit um dann die zweite abzulehnen, was mir am Ende auch gut getan hätte. Aber so oft fährt man halt im Juli auch nicht auswärts. Ebenfalls wurde sich bei dieser Fahrt an Raucherpausen probiert, welche in maximal 2 Zügen bis zur Abfahrt in Halle auch wieder beendet waren.

Die Bullen und Verbände sind zu spät!

Nach etwas über einer Stunde erreichten wir bereits Leipzig Hauptbahnhof, wo sich unsere Gruppe in hungrige und wissensbegehrende trennte. Die einen fuhren zu einer Podiumsdiskussion direkt nach Leutzsch um der Geschichte von den „Jahrhundertspiele[n] gegen den 1. FC Union Berlin“ zu lauschen.

Die auf der Haupttribüne stattfandende Podiumsrunde war eine kurzweilige Geschichtsstunde in Sachen Fußball- und Fankultur. Die Erkenntnis fasste einer der damals dabei gewesenen Unioner in den Worten “Wir und Ihr dürfen unsere Kultur nicht vergessen!” sehr treffend zusammen.

Für ein Spiel, das eigentlich noch mitten in der Sommerpause liegt, haben sich erstaunlich viele Unioner und noch mehr Chemiker eingefunden. Die Grün-Weißen begehen in diesem Jahr gleich zwei Jubiläen. Das Eine sind die Relegationsspiele von 1984, an denen eben auch Union beteiligt war und in einer Attitüde von vorwegnehmender Tradition natürlich scheiterte. Das andere Jubiläum ist sicher das glanzvollere – 60 Jahre Meisterschaft 1964.

Die von den Chemikern als Deutsche Meisterschaft bezeichnet wird und damit auf eine Besonderheit der Nachkriegszeiten hindeuten könnte, nämlich dass es gar keine umgangssprachliche Verkürzung ist, sondern eine korrekte Benennung. Denn zu dieser Zeit war für die DDR die deutsche Einheit ein zumindest nicht nur in der Hymne formuliertes Ziel. Ein temporäres Familienmitglied wurde exakt in diesem Jahr, für Lichtmaschine startend, Deutscher Meister im Schwimmen und durfte nach Tokio mit der letzten gesamtdeutschen Olympiamannschaft. Insofern mag die Bezeichnung eben korrekt sein, denn die sportpolitischen Entscheidungen, die die kleine DDR zu einem Olympia-Giganten machen sollten, kommen ja erst nach 1968. 

“Sympathie – Eisern und Chemie!”

Die heutige BSG ist eine Neugründung von 1997 und das deutet auf ebenso heftige Verwerfungen hin wie sie uns und vermutlich so vielen anderen Vereinen aus der ehemaligen DDR nicht fremd sein werden. Was eben auch schlechthin einer der Gründe ist, weshalb der topografische Nachbar aus Salzburg niemals ein Ostverein sein kann. Auch in fünfhundert Jahren nicht.

Während ein Teil wissbegierig der Podiumsrunde lauschte, testete der andere Teil die kulinarischen Fähigkeiten des berühmten “Auerbachs Keller”. Weder Frosch und seine Gesellen noch Faust und Mephisto waren vor Ort, so musste das bestellte Essen seinen eigenen Zauber entwickeln. Mehrheitlich wurde es als salzreich beschrieben. Was auf eine gewisse Getränkeaffinität der Betreiber zu verweisen scheint. Nicht auf einem Fass, sondern wohl auf eigenen Füssen verließen die wackeren Essenstester den Keller Richtung Alfred-Kunze-Sportpark.

„im Kunze-Sportpark herrscht für immer Anarchie“

Am Bahnhof in Leutzsch angekommen gab es dann mit überbordender „Fantrennung“ und selbst-überhöhenden „Anweisungen“ der Weisungsbefugten (mal wieder) einen langen Marsch an vielen Chemie-Fans vorbei zum Alfred-Kunze-Sportpark. Diese Schikane kennt man ja als Union-Fan in Leipzig ganz gut.

Angekommen am Stadion ging der Einlass ganz fix. Abklatschend mit einigen Unionern, die man schon mehr als einen Monat vermisst hat begab man sich zum Rudel in den Block. Zaunfahnen wurden gehangen und ersehnte Wiedersehen zelebriert. Gestartet wurde mit einer denkwürdigen Ansprache von Ali mit Fingerzeig auf den Platz: „Leute! Das ist Fußball, wie wir ihn lieben und deswegen sind wir heute hier!“ und los geht’s.

Wo vor 40 Jahren noch gleichwertige Konkurrenten aufeinander trafen, liegen heute bei der Neuauflage zwei Ligen zwischen beiden Teams. Die zu erwartende Überlegenheit setzt sich dann auch durch. Was das für die Saison bedeutet? Vermutlich nichts. Unsere 40 Punkte warten Gott sei Dank anderswo auf uns. Nichtsdestotrotz war es ein, trotz des Regens, ausgesprochener schöner Nachmittag in Leipzig, auch weil es endlich mal wieder gegen eine Mannschaft aus Leipzig ging. 

Die Begegnungen mit den Chemikern vor und nach dem Spiel waren freundlich bis temporär fraternisierend. Zu dicht liegen die Erfahrungen beieinander und auch Abneigung eint natürlich. Immer noch erstaunlich ist es, dass es unser Verein ist, auf den mit der erwartungsvollen Bewunderung, es selbst auch dahin zu schaffen,  geblickt wird. Seit 5 Jahren sind wir vom Glück geküsst. 

Was steht an jeder Ecke? …

Ebenso „gut beschützt“ (aufpassen! aufpassen!) wie auf dem Hinweg ging es dann Richtung Leipziger Innenstadt zurück. Vielleicht war es die Sorge, weil zwei Ostklubs spielten oder weil wegen der EM eh alle schon da waren, jedenfalls waren die Boys and Girls in Blue zahlreich vor Ort und bauten ihre Minderzeiten ab.

So gelangten wir zu der Straßenbahnhaltestelle, wo die Straßenbahn, die uns in die Innenstadt bringen sollte, abfahren würde. Umringt von Leipzigern sangen wir uns durch die Warte– wie die Fahrtzeit. Ein Teil unseres schön großen Mobs beschloss, die Zeit bis zur Abfahrt mit dem Besuch des über die Stadtgrenzen Leipzigs für seine feinen Roulädchen berühmte Brauhaus an der ebenso bekannten Thomaskirche zu verbringen. 

Alles wird neu

Bei Pasta, Pizza und Pivo warf die nahende Saison ihren Schatten voraus. Die Leichtigkeit der letzten Jahre ist einer Anspannung gewichen. Zuviel vertrautes der letzten Jahre hat sich verändert.

Es ist die erste Saison, die ohne Urs beginnt. Statt „in Oli we trust“, „trusten“ wir jetzt Hotte. Sich an Neues zu gewöhnen, fällt stets ein wenig schwer, aber Bo macht es sicher leichter. Also sind wir jetzt die Bohéme.

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