The Return of the Terrorfußball

Schon am Freitagabend beginnt die Reise in den Kraichgau mit der Abholung des Mietwagens. Denn die in den Bahnverbindungen vorgegebenen Umsteigebahnhöfe erscheinen uns gerade auf der Rückreise nicht verlockend genug, um das Wagnis von mehreren fehlgehenden Umstiegen einzugehen. Die Hauptstadt gibt sich an diesem das Wochenende einläutenden Abend feuchtkalt und nieselig. Anhänger des Schlittschuhsportes mischen sich unter uns, um in der nahegelegenen Automarke-Arena der von den Puhdys gesungenen Aufforderung nachzukommen, während wir das Gefährt abholen.

Am nächsten Morgen früh aufzustehen, um in das Mäzenatentum “Ganz weit weg” zu fahren, fällt leichter als beim Hinlegen angenommen. Das kann nur an der Reisegruppe liegen. Klein, aber umso feiner.

Noch östlich von uns liegt das herannahende Morgengrauen. Es wird uns einen ganz normalen Februartag bringen – stellenweise mit T-Shirt-Wetter.  

Mit den üblichen notwendigen Unterbrechungen gleiten wir auf der A9 hinab in den Süden, wo natürlich alles besser und schöner ist. Es wurde behauptet, dass man das Paradies von dort aus sehen könne. Und was soll ich sagen, es ist offensichtlich, wie der Ort unseres Gegners, ein Ortsteil von Sinsheim, jener Mittelstadt im Badischen. Denn bei der Einfahrt in Sinsheim begrüßt uns ein großes Schild “ Willkommen im Paradies” und gleich nebenan die Müllrecycler-Arena, das Ziel unserer Fahrt. Doch bevor wir das Stadion übernehmen, zieht es uns zur zweiten Wahl unserer Nahrungsausgabestellenliste, nachdem die erste so kläglich versagte und eine Schließzeit bis zum Frühlingsanfang so geheim gehalten hat, dass wir unseren sauer abgesparten Solibeitrag nicht mit Maultaschen verprassen konnten. Aber der enttäuschte Mensch rächt sich heute mit Google-Bewertungen.

So nehmen wir einen ganz hübsch dezent eingerichteten Laden, der sich, wie anscheinend fast alles in Sinsheim, im Gewerbegebiet befindet oder an der Autobahn liegt. Beides ist auch möglich. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die beste Straße Sinsheims aus ihr hinausführt. Aber erstmal essen. Wenn es ein Gutes am Badischen Landstrich gibt, dann dass es auch ein anständiges Pils gibt. Das freut den nördlich des Weißwurstäquators sozialisierten Biertrinker. Wo noch in der Vorstadt von Salzburg/Nord die Speisen mittelmäßig sind, bekommt man hier erstaunlich Gutes, vergessen wir nicht, ringsum ist ein Gewerbegebiet. Das Gute ist auch angemessen bepreist und nicht eine sächsische Beutelschneiderei.

Dennoch lösen wir uns von der kulinarischen Stätte und nähern uns dem Stadion, dass trotz seiner Baukastenarchitektur, wegen der Schmuckelemente eigentlich ganz ansehnlich ist. Auch im Innern wirkt es wie ein Stadion bzw. könnte wirken, wenn es wirklich voll wäre. Der Gästeblock ist aber definitiv einer der besseren in der Bundesliga. Man wird nicht in einen zweiten, dritten Rang gedrängt oder in so ein kleines Tortenstück, dass man fürchten muss, auf einen Kuchenteller gepackt zu werden.

Fahnenflüchtling

Wir haben einen aussichtsreichen Platz für uns und unsere Zaunfahne gefunden. Deshalb stehen wir ganz hübsch etagiert und genießen diesen frühlingshaften Wintertag. Wir begrüßen lautstark unser einlaufendes Torwartteam, nachdem wir zuvor das gegnerische angemessen ausgepfiffen haben. Etwas weniger lautstark, aber umso freudiger begrüßen wir den Zuschauer mit der weitesten Anreise für dieses Spiel, wahrscheinlich aller Spiele dieses Spieltages. Unser in Thailand überwinterndes Mitglied ist zurück und brachte uns das Glück für einen Auswärtssieg mit.

Kurz nachdem die Mannschaft zum Aufwärmen herausgekommen war, kam unsere Szene mit reichlich schwenkbarer textiler Fläche in den Block. Erste Schwenkversuche lassen unsere so gut um die Zaunfahne drapierte Anfeuerungsgruppe wie einen Glückskeks auseinanderbrechen. Sein visuelles Glück suchend, zog eine Minderheit als Fahnenflüchtlingswelle weiter nach oben in den Block. Nun gut, wir Ausharrenden müssen auch keinen spieltagsbezogenen Podcast mit sachdienlichen Inhalten füllen und können deswegen mit Sichtbeschränkungen durchaus glaubhaft unsere fehlende Expertise erklären. 

So vergeht die Zeit bis zum Anpfiff leichtfüßig dahin. Kevin Vogt wird noch von den TSG-Offiziellen herzlich verabschiedet, zumindest bis zur Verabschiedung von Behre hätte ich gesagt, dass es das bei uns nicht geben würde, aber jedenfalls wurde Kevin ziemlich heftig ausgepfiffen und machte freundliche Miene zur unangenehmen Situation. 

“Wir singen nicht mit Hoffenheim!”

Ob Robert Hartmann mit dem Anpfiff schon ahnte, dass er keinen so guten Nachmittag haben würde?

Wir schweigen jedenfalls erstmal, wie mittlerweile gewohnt, die ersten 12 Minuten, während die TSG-Kurve vor sich hin trällert und Rogon eine unsaubere Verrichtung von Notdurften wünscht. Falls sich jemand fragt, Rogon, hä? Das ist die Bude von Spielerberater Roger Wittmann. Googelt mal Rogon und Hoffenheim. Dann schwappt euch ein bunter Strauß von Artikeln dazu über Männerfreundschaften, von Firmengeflechten, Leihgeschäften mit Jugendspielern, einem Klub in Brasilien entgegen. Also einem Konglomerat von allem, was den modernen Fußball so sympathisch macht. Die TSGler haben da sicher einen validen Punkt dagegen zu protestieren. Auch wenn es schon irgendwie lustig ist, dass der, nach dem hier in Sinsheim alles benannt ist, da dicke mit drin ist. Offiziell hat er sich da auch zurückgezogen wie aus der TSG.

Unser Protest aber ist ein prophylaktischer und gilt der Zukunft. Daran haben sie sich nicht beteiligt. Auch deswegen singen wir nicht mit Hoffenheim.

Mittlerweile ist das Dutzend Minuten vorüber und nach zwei Pfostentreffern plätschert das Spiel so wie ein reißender Bergbach dahin. Mit etwas ruppig bleibt die Beschreibung ganz sicher im Bereich des Freundlichen. Wobei sich die Frage stellt, bei wem der berühmte Druck größer war?

Rani wie auch Grischa lassen sich schon behandeln, da zeigen wir nochmal unseren Protest gegen die Pläne der DFL in Form von Bannern und Tennisbällen. Wer in den sonntäglichen Runden sitzt um sein Altersruhegeld aufzubessern und im Tonfall von Krisenreportern salbadert, dass man unmittelbar vor Spielabbrüchen stünde, dem ist jedwede Kenntnis der deutschen Fankultur abzusprechen oder böse Absicht zu unterstellen. Mit welcher rationalen Kühle die Unterbrechungen provoziert und genau zu dem exakt geplanten Zeitpunkt wieder eingestellt werden, ringt mir eine Menge Respekt ab. Da sind keine wildgewordenen Honks am Werk, sondern Menschen, die sich sicher lange Gedanken zu dem Thema und den dafür angemessenen Protest gemacht haben. Da ist nichts einfach passiert, sondern alles untereinander abgesprochen. Und es ist nicht nur der Protest der Ultras, zumindest für Union kann man es mit Gewissheit sagen, dass der Protest auf der breiten Unterstützung aus den unterschiedlichen Fangruppierungen fußt. 

The Return of the Terrorfußball

In irgendeiner Zeit der Nachspielzeit bewies Schiri Robert, dass er Hartmann ist und all seine Deeskalationsstrategien offensichtlich bei der bayerischen Polizei gelernt hat. Denn wie dereinst ein Wasserwerfer in Wackersdorf fuhr er unter die beiden Streithähne und hielt die Gelbe Karte in die Gegend wie die Zeugen Jehovas den “Wachturm”. Wie die Erleuchteten hatte auch Robert damit keinen Erfolg. So griff er dann nur kurze Zeit später zu mehr inquisitorischen Maßnahmen und schickte die Sportsfreunde Stanley und Kevin in den Karzer. 

Nach der Pause lief das Spiel so dahin, dass wir mit einem Unentschieden sehr zufrieden gewesen wären. Aber in der 84. Minute änderte sich das grundlegend. Und die TSG muss sich schon ein wenig wie Chubba the Hutt an der Grube von Carkoon vorgekommen sein. Eben noch das Gefühl, alles im Griff zu haben, drehen die Jedis plötzlich frei und selbst wirst du erwürgt in den Schlund des Sarlaccs geworfen.

Uns ist das natürlich egal – wir feiern unser’n Jedi Aaronson und die mit ihm seienden Rebellen. 

Bis lange nach Abpfiff singen wir ein wunderbar neues Lied, dessen Europabezug ich weniger größenwahnsinnig finde als es in mancher Äußerung gesehen wurde.

Was übrigens dieser Starwars-Bezug für die nächsten Spiele bedeutet, weiß ich doch auch nicht. 

Aber mit “Stumblin’ in” in der längerwerdenden Reisegruppenplaylist verlassen wir das Mäzenatentum…

Man hat mir gesagt,
es gibt noch mehr als Union.
Denk an die wichtigen Dinge im Leben,
dann wirst du belohnt.

Aber für mich
gibt es nichts Größ’res als Dich
Stundenlang Zug fahren durch Europa
'lass Dich nicht im Stich.

Lala lala lala

oh ohohoh oh oh 

In einen noch sehr jungen Sonntag kommen wir wieder in Berlin an.

Und wie die Spotifylist Tradition ist, ist es für eine Autofahrt in den Süden am Ende: Danke Matthias.

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