Das Zafira-Quartett

Versprochen, diesmal weniger bahnlastig, denn nach der Oberleitungsstörung ist nicht vor dem nächsten Bahnstreik, sondern mittendrin. Da wir aber nicht mittendrin, sondern dabei sein wollten “in München” und die Bahn uns ohnehin aufgefordert hat, alternative Routen zu finden, kamen wir recht schnell auf die Route A9. Und wenn sie da schon so rum liegt, dann sollte man sie auch benutzen.

Nachholspiele sind organisatorisch schwierig. Finden sie doch meist unter der Woche und dann zu Uhrzeiten statt, bei denen den Daheimgebliebenen genügend Zeit bleibt, vom Tagwerk in die Sportkneipe oder das heimische Sofa zu gelangen. Dem Unterwegsseienden kostet es neben der Reisezeit, Urlaubstage, weil er, sofern ihm das Hamsterrad bezahlter Lohnzeit nicht Mehrzeiten bescherte, sich aus der werktäglichen Verpflichtung zur Arbeit nur so befreien kann. Denn in der Regel gelingt auch die Rückreise des späten Spielbeginns wegen nicht am selben Tag.

Unbeeindruckt von nichtfahrenden S-Bahnen wählten wir uns Ostkreuz Ausgang Sonntagstraße als Treffpunkt. Zum Abschied gibt uns der Berliner Morgenhimmel noch einen sommerlich anmutenden Regenschauer mit und schon sind wir unterwegs. Seitlich am Morgengrauen entlang fahren wir die gewählte Route Richtung Süden. Für den Stern des Südens war es aber schon zu hell, so dass wir von unserem eigenen Kosmos durchdrungen auf unserem Weg waren.

Im Fond des brav gen Süden rollenden Zafiras wurden bald die ersten Biere geöffnet und Spotify mit Musikwünschen ausgelastet. Nikotinsenken wie Harndrang zwangen uns zu Unterbrechungen des fröhlichen Quer-durch-Deutschland-Ziehens. Kleine, gern geteilte Rastplatzerfahrung: Wird beim Betreten der Toilette als erstes gespült, scheint das nie wirklich ein gutes Zeichen zu sein.

Mit nachgefülltem Tank, aufgefüllten Bier- und Konterkaffeereserven rollen wir in die nachmittäglich gestimmte Metropole Bavarias ein. Wobei uns ankommenden Fußballreisenden nicht ersichtlich ist, ob man grad von der Mittagspause kommt oder in den Feierabend fährt. Für uns aber klar ersichtlich, fahren wir an der Müllkippe mit Windrad und Stadion vorbei. Das bahnhofsnah gewählte Hotel erscheint während eines Bahnstreiks nicht mehr die beste Wahl zu sein, aber das fußläufige, nicht bestreikte Parkhaus der DB widerlegt diesen Gedanken schnell. Die Gegend um das Hotel Royal herum ist sicher nicht die bestbeleumdete Münchens, aber offensichtlich außerhalb des Sperrbezirks, denn von Rosi war weit und breit nichts zu sehen. Als aus einer wirklichen Großstadt kommend stehen wir selbstverständlich Lebensentscheidungen nicht mit einem erhobenen moralischen Zeigefinger gegenüber und gegen übertrieben illuminierte Eingangstüren helfen Vorhänge, die einem im Zimmer zur Verfügung gestellt werden. Aber erstmal rein in die Zimmer, kurz frisch- und stadionfeinmachen. 

Wir treffen uns vor dem Hotel, um über den Stachus zur Frauenkirche zu kommen. Dort wollen wir uns auf die landestypische Küche einlassen. Die schusseligen fünfundzwanzig Prozent der Gruppe, die ihr Ticket auch noch altmodisch ausgedruckt haben, lassen genau dieses Erzeugnis im Hotelzimmer liegen. Ihr kennt das, wat man nich im Kopp, muss man in de Beene ham. 

Aber alles fügt sich zum Guten. Wir sitzen kellnerzentral an einem großen runden Tisch im Augustiner am Dom. Hier mischen sich ökumenisch die Rottöne. Wir sind wagemutig und probieren Schweinebraten mit Kloß und Kraut. Das sollen die Einheimischen hier ja ganztägig zu sich nehmen können. Die Mutigeren unter uns wählen Blau- statt des Sauerkrauts, auch wenn ich finde, dass das eine ziemliche Nähe zu dem uns vertrauten Rotkohl hat. Aber man muss sich eben auch mal an das Ungewohnte wagen, wenn man sich einer fremden Kulinarik annähern will. Mit Bier bekommt man eh alles runtergespült. Das haben wir uns schnell von den Einheimischen abgeguckt.

Gestärkt für all das Kommende machen wir uns auf den Weg. Mit der U6, Richtung Garching-Forschungszentrum, sind wir, umringt von Bayern, für dieses Stadion, das nun in einem ganz schönen Rot beleuchtet ist, rechtzeitig vor Ort. Hier werden wie sonst nur die Spreu vom Weizen die Gäste- von den Heimfans getrennt. Ein halbes Dutzend Besuche brauchte ich, um auf den einzig plausiblen Grund zu kommen, weshalb es nach der Station “Bekanntes Versicherungsunternehmen-Arena” nicht noch ein “Bekanntes Versicherungsunternehmen-Arena – Gästeeingang” gibt. Der einzig sinnvolle Grund ist, dass dann die Gästefans einen kürzeren Weg als die Heimfans hätten. Es ist also eine Gleichheit im Schlechten, die hier praktiziert wird.

Der Einlass ist eigentlich routiniert und zügig. Bis zu dem Moment, wo der Sportsfreund Ordner etwas Verdächtiges in meiner Innentasche fühlt . Die Größe –  ungefähr A7- und zwei nicht miteinander verbundene Teile erregen die kriminalistische Aufmerksamkeit des Ordnungsbeauftragten. In der Gewissheit der Schuldlosigkeit ziehe ich eine Kfz-Zulassung und die Eintrittskarte von Freiburg aus der Innentasche. Beides gut erkennbar. Mit der Frage “Was ist das?” bröckelt meine Gewissheit. “Äh, Kfz-Schein und die Eintrittskarte vom letzten Spiel…” und einen ratlosen Blick hinterher schickend sind meine Antwort. Ich bekomme einen skeptisch fragenden Blick als Antwort zurück. Besonders das farbige SCF-Ticket (!) ist verdächtig. Kurzes Auseinanderpulen des dubiosen Papiers beruhigt dann den Wachsamen doch und er checkt nochmal die unteren Extremitäten. Beim zweiten Griff an die Patella kann ich ihm nur lachend, “Is immer noch die Kniescheibe.” entgegnen. Während ich noch sinniere, ob ich das bei der Krankenkasse als Physiotherapie einreichen kann, bin ich auch schon durch das Drehkreuz geschlüpft. Grundsätzlich finde ich es ja gut, wenn so intensiv nach Stickern gesucht wird. Denn da kann schon viel Unglück geschehen. Wir Älteren erinnern uns ja alle noch an die beeindruckenden Bilder, als Johannes B. Kerner demonstrativ zeigte, wohin der unkontrollierte Gebrauch von Stickern führen kann.

Nun wieder unter Bayern schlendern wir zu der zu unserem Block führenden Treppe und beginnen mit dem Aufstieg. Im Theater wäre es wohl der dritte Rang, wo schon von jeher die Plebejer untergebracht werden, in der Moderne wird auch gern von 2000+Alkoholikern gesprochen. Wo die einen in Treu und Glauben dem auf dem Ticket geschriebenen Gebot  “Keine Getränke im Block” mit Sturzbechern Bier vor dem Block versuchen entgegenzuwirken, wollen die anderen sich notfalls in Verzicht üben. Und erkennen, dass nichts so heiß gezapft wird, wie es auf dem Ticket steht. Drehkreuze vor den Blockeingängen sind ja prinzipiell eine leutegängelnde Pest. Aber wenn man dahinter zwischen den Blöcken hin und her laufen kann und wie bei uns sich niemand an die auf dem Ticket gedruckten Sitzplätze hält, weil ja eh alle stehen, dann sind sie nur eine Beschäftigungsmassnahme für Ordner, die beim Rausgehen Einlasskarten an die Auslassbegehrenden verteilen und sie dann für dich scannen, wenn du mit mehr als einem Bier in der Hand zurück in den Block willst. Zaunfahne befestigen, ein bisschen Einsingen, dank Gentrifizierung lange nicht gesehene Freunde begrüßen und ein bisschen dusselig quatschen gegen eine Beschallung, die es mit den im dritten Rang Verweilenden nicht gut meint.

Während noch “forever number oonnnne” im biergedämpften Schädel nachhallt, beginnt das Spiel. Auch hier wieder das obligatorische Schweigen als hörbaren Protest gegen den Einstieg von Investoren. Die Bayern spielen ihrem Verständnis nach sicher ganz ok, Union nach unserem nicht schlecht. Ein Hauch von Terrorfußball zieht durchs Rund. Nach siebenhundertzehn Sekunden wird durch Herunterzählen das Ende des Protestes eingeläutet. Mit dem festeren Teil der Stoffwechselendprodukte als beschreibendes Attribut vorangestetzt wird dem Ligaverband als Auslöser dieses Protestes wechselseitig ein unfreundlicher Gruß entboten.

Dann ist aber auch Schluss mit der Fußballökumene und Kuschelei. Jetzt wird supportet. 

Bei Bayernspielen ist es immer wieder interessant zu sehen, wie sie einen kaum zu widerstehenden Druck erzeugen können, ohne, dass man oberflächlich betrachtet, ein hohes Tempo erkennen kann. Aber irgendwann nistet sich in einem der Eindruck ein, dass es irgendwann im Kasten klingelt, selbst wenn König Freddi der Beste das Tor hütet. Dennoch geht Union mit einem natürlich Unentschieden in die Pause. Im größenwahnsinnigen Teil unserer Fußballseele keimt die irrige Hoffnung, noch so’ne Halbzeit … Bis auf die sechsundvierzigste Minute spielte Union genau noch mal diese erhoffte Halbzeit. In der dieser ersten Minute nach dem berüchtigten Pausentee jedoch waren die Unsrigen noch mit den Resten des Powerriegels beschäftigt, während die Bayern wohl leichter zu verzehrende Gels hatten und somit schon bereiter waren. Naja, eins zu null. Was soll’s! Union verteidigt diesen einen Gegentreffer verbittert und lässt den Rekonvaleszenten im Tor Bayern weitgehend in Ruh. Jener Manuel N. nutzt dieses Schonen unsererseits seinerseits auf dem Rasen liegend für gymnastische Übungen. Mit der rigiden Brille des Respektes für den sportlichen Kontrahenten könnte man darin natürlich eine gewisse Arroganz sehen, aber der Welt Bester macht das natürlich nur für uns alle und die Heim-EM. Ja, gut und weil Union ihn nicht mit dem Spiel belästigte.

So verlieren wir aus bayrischer Sicht unverdient mit 1:0. Aus unserer Sicht kann man zumindest festhalten, dass die Verteidigung so gut war, dass den scheinbar Übermächtigen lediglich ein Tor gelang. Die befürchtete Klatsche blieb aus. 

Um dem Gedränge am einzigen Zugang zur U-Bahn zu entgehen, gehen wir im Heimbereich zum Biertrinken. Auf dem Weg dahin, also treppab, ist unsere Stimmung so gut, dass wir Wechselgesänge und ein schön schallendes “Scheiß Dy*” hinbekommen.

Nach zwei Heimbier werden wir zwar nicht wie einst oben im Gästebereich hinauskomplimentiert, aber hier fallen einfach demonstrativ die Rollläden an den Bierständen. Das ist eine Aufforderung, die sogar wir verstehen. Der ausgefeilte Plan mit Bier im Heimbereich dem Gedränge am Bahnhof zu entgehen hat nur zum Teil funktioniert. Leider hat sich es noch nicht so geleert, dass wir namentlich am Bahnsteig begrüßt werden, aber die MVG hielt die Lage für so entspannt, dass sie ihre schleusewärternden Mitarbeiter mittlerweile abgezogen hatte. 

Also rin in die erste Bahn und mit lautem Getöse den Bayern zeigen, dass auch sie uns nur schlagen können, aber nicht besiegen. Jedenfalls nicht unsere gute Laune. Und wenn wir, neben die Mannschaft supporten, noch eine Aufgabe haben, dann ist es die, eisernes Liedgut unter die Leute zu bringen. Auf der gar nicht so langen Rückfahrt haben wir diese zur Zufriedenheit aller erfüllt. Selbst die zuvor mürrischen Bayern, die insgeheim fanden, dass wir fünfzehn Tore zu wenig bekommen haben, waren schlussendlich, wenn nicht begeistert, so doch beeindruckt von der Fülle unseres Repertoires. Kleine Nebenbei-Erkenntnis – offensichtlich scheinen auch die Bayernfans in eine leidenschaftliche Liasion zum unserem blauweißen Stadtnachbarn entflammt zu sein, denn wir bekamen hier einige Hahohes zu hören wie zuvor schon Freiburg. Es scheint so, als ob die Etablierten dem Emporkömmling, also uns, in der vermeintlichen Misserfolgsphase zeigen wollen, dass man eh im falschen Teich schwimmt. Vermutlich hat sich das in den letzten vier Jahren aufgestaut und nun muss es raus. Wenn die nur wüssten, womit sie uns wirklich triggern könnten. Aber dann müsste man ja sich mit dem gegnerischen Verein beschäftigen.

Dann käme man sicher auch auf eine inhaltlich bessere Tapete als die, die uns dargeboten wurde.

Vieles wurde schon dazu gesagt. Alles den richtigen Ton treffend. Nur noch mal zwei Dinge aufgreifend, wenn man sich im freien Versmaß versucht, was möglich ist, aber nicht bedeutet, dass es gar keinen Rhythmus gibt, dann sollte die Botschaft so pointiert sein, dass Rezipienten auch eine Chance haben es zu verstehen. Viel schlimmer ist für mich die Karikatur. Wenn man tierische Attribute in der Darstellung eines Menschen benutzt, dann greift man aber ganz tief in die Kiste der ikonischen Gestaltungsmittel der Antisemiten. Auch wenn das nicht Intention war. Und dann sollte man zumindest aus Gründen des Tierschutzes von seinem moralischen Roß absteigen und nachschauen, ob noch alle Hufeisen festsitzen.

Das alles wurde nicht zu Unrecht von der Entgleisung unseres Trainers in den Hintergrund gedrängt. Beim Arbeitsrechnerumzug in den letzten Tagen habe ich ein paar Snipits gefunden, unter anderem einige von der legendären Bayern-Pk. Dort gab es von seiner Scheinheiligkeit Ulrich von Tegernsee den Spruch, “ Zweimal hast Du es gemacht!” Daran orientierte wohl sich auch unser Trainer und wischte zweimal durch das Gesicht von Sané. Das war ausgesprochen doof gehandelt und man könnte eigentlich erwarten, dass ein Trainer sich da besser im Griff hat. Zumal der wirkliche Druck ja erst noch kommt. Denn der Abstiegskampf, in dem wir uns befinden, wird nicht so schnell beendet sein. Aber um am Ort des Nachholspiel zu bleiben, jeder hat eine zweite “Schanze” verdient. So auch Nenad.

Immer noch singend sind wir mittlerweile am Marienplatz angekommen, anders als im heimischen Berlin hat München um 0:00 Uhr die Schlafmütze auf und den Nachttopf unters innenstädtische Bett gestellt. So bleibt uns nur ein Kiosk in Hotelnähe und eine kleine Hotelzimmerzusammenkunft.

Das Gefühl beim Aufstehen beschreibt den vorherigen Tag dann sehr gut. “Begrabt mich an einer Biegung der Isar!” schreit mein Kopf. Aber mit ordentlich Protein, Koffein und Vitamin zum Frühstück bekomme ich ihn dazu, noch bis Berlin durchzuhalten. Nachdem wir weitere fünf Stunden Musik auf die Playlist gepackt haben und die Gegenseiten der Raststätte getestet haben, alle sind zum Rauchen und anderem mehr als geeignet, kommen wir in Berlin an. Die durch die Umstände geborene Opelgang löst sich wieder auf und eine der grandiosesten Auswärtsfahrten endet. Danke Mathias.

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