Ein Bundesligaspiel in der Stadt, die das Tor zum Schwarzwald ist, auf einen Sonntag Nachmittag anzusetzen, ist möglich und wahrscheinlich gar nicht mal so unverschämt, wie man meinen möchte, wenn man aus der näheren Umgebung käme. Aber für den Wettbewerbsteilnehmer mit der weitesten Anreise ist das eigentlich nicht nur eine Zumutung.
Warum also Sonntag?
Ob dieser Ansetzung war unser Auswärtsmob nicht wie sonst, in einer Gruppe unterwegs, sondern zerfaserte sich in diverse individuell anreisende Kleingruppen. Menschen mit Sozialkontakten außerhalb Unions besuchten diese in ihren badischen Dörfern. Einige andere im Groundhoppingfieber nächtigten gar in der Schweiz, um in Basel alte Jungs Fußballspielen sehen zu können. Die Weite der Reise ist ja auch prädestiniert für ein langes Wochenende, aber die vernünftigen Langweiler fuhren lieber am Sonntagmorgen mit einem extrem frühen Zug ins Badische Land. Das schien ein vernünftig bedachter Plan zu sein. Zu dieser frühen Stunde sind vielleicht Fahrplanverwerfungen weniger wahrscheinlich, man kommt pünktlich zu einer Zeit an, die es noch erlaubt, Essen zu gehen und sollte man sich doch verspäten, ist noch genug zeitlicher Puffer vorhanden, dass man es pünktlich ins Stadion schafft.
Aber wie das so mit Plänen ist, besonders wenn es nicht die eigenen sind, sondern von der Bahn vorgeschlagen, scheitern sie schon fünf Minuten nach der Abfahrt vom Hauptbahnhof. Auf den ersten Blick bleibt einem ein Kurzaufenthalt in Hannover erspart, weil der jetzt schon verspätete Zug nach Basel SBB, mit Hannover so verfährt wie sonst nur mit Wolfsburg umgegangen wird. Er verzichtet auf den geplanten Halt und fährt durch.
Apropos Wolfsburg
Der ungeschönte zweite Blick offenbart uns einen längeren Aufenthalt ebenda. Dort steigen wir in einen ICE ein, der 90 Minuten später ankommen soll als in der von uns geplanten Version. Nun gut, kein Essen vor dem Spiel. Mit vollem Magen im Stadion ist ja auch nicht gut für die eigene Leistungsfähigkeit. In diesem Zug sitzt auch unsere Szene, was für die Ankunft (Achtung Spoiler!) nichts Gutes ahnen lässt. Aber erstmal zuckeln wir auf der romantischen Strecke in den Harz.
Wie zur Mahnung an unsere Demut halten wir in einer Stadt des gepflegten Zweitligafußballs, der Stand jetzt, bald einer des Drittligafußballs sein könnte. Einträchtig überstehen wir alle, rauchende wie nichtrauchende Passagiere und der Zug selbst den Halt in Braunschweig. In der Stadt, von der wir alle, dank der “Harzreise”, wissen, dass sie lediglich für ihre Universität und Würste und ja, neuerdings auch für Korbball bekannt ist, wechselt nicht nur das Zugpersonal, sondern sich der Tonfall gleich mit. War es kurz zuvor noch der Ton des auf Informationsweitergabe uninteressierten Bahnbeamtens alter Schule, zog jetzt die sich überschlagende Stimme einer ein Empörungsvideo drehenden Influenzerin in den Bordfunk ein. Auch die erste Durchsage ist gleich eine Ansage an die mitreisenden Fußballfans, also auch uns, die wenig eskalierenden Spielraum nach oben offen ließ.
Sicherlich ist es nervig, wenn die Weiterfahrt verzögert wird, weil irgendwer die Tür blockiert, wahrscheinlich um zu Ende rauchen zu können, aber die Drohung den Zug dann beim nächsten Halt enden zu lassen, in dem man sich selbst krank meldet und wir dann sicher das Fußballspiel verpassen würden, wirkt nicht nur oberflächlich überzogen, sondern ist natürlich der raffinierte Versuch die nicht Fußballreisenden gegen die Fußballfans einzunehmen, klassisches Teile und Herrsche. Was durchaus zu gelingen schien, denn selbst in unserer dekadenten ersten Klasse machte es sich bemerkbar. Mit diesem typisch leisen Wispern, weil der Feind, erkennbar an unserer roten Kleidung, ja mithört.
Wir sind eher pragmatisch veranlagt, wenn wir in Hanau rausfliegen sollten (auf welcher rechtlichen Grundlage eigentlich?), dann schaffen wir es noch bequem zum Spiel der Frauen. Aber, sagen wir es mal so, Deeskalation wird in der Literatur anders beschrieben. Bis Frankfurt funktionierte es, Türen wurden nicht blockiert.
Wohl aber gab es Probleme beim Durchkommen des Personals auf den Gängen, die reichlich mit Fahrgästen belegt waren. Warum das nur? Richtig, weil unser eigentlich geplanter Zug nicht in Hannover hielt und wir in diesen wechseln mussten, der nun voller ist, als es die Bahn in ihrer Vorstellung von moderner Personenbeförderung für sinnvoll erachtet.
„Vorwärts – Rückwärts: Bundespolizei“
In Mannheim eskalierte, was eigentlich gar nicht mehr hätte eskalieren können, da wir ja schon auf DEFCON 1 waren. Nun aber geht es um eine Beleidigung, die sich bald als ein ausführliches gegenseitig Beleidigen entpuppt. Wir stehen jedenfalls in Mannheim – zum Frauenspiel schaffen wir es so auch nicht mehr, also ist Aushalten und Abwarten die einzige Option.
Die Bundespolizei ermittelt und die Fanbetreuung versucht, zu vermitteln. Am Ende streicht die Bahn die Ankunft in Basel SBB und wir werden zu Shuttle-Zug verdonnert, aber mit einem weiteren Plus auf unserer Fahrzeit von dreißig Minuten geht es nun weiter. Das uns erwartende Aufgebot von Bundespolizisten und DB-Sicherheitsleuten hat wohl nichts mit dem läppischen Kindergartenvorfall in unserem Zug zu tun, sondern schlicht mit der Tatsache, dass unsere Szene mit uns im Zug war. Und wie oben schon angedeutet, entsprechend freundlich ist die Begrüßung am Bahnhof. Alle Abgänge sind durch Bundespolizisten gesperrt.
Im Tunnel stehen DB-Sicherheitsleute und “zwingen” uns in Richtung des Shuttle-Zuges. Energische Hinweise mitreisender Unioner, dass man erst ins Hotel müsse, werden erstmal nur ungläubig aufgenommen. Das Vorzeigen der Buchung gewährt den Durchlass. Ich frage mich, auf welcher rechtlichen Grundlage dürfen diese DB-Mitarbeiter mich eigentlich daran hindern, dass Betriebsgelände ihres Arbeitgebers zu verlassen, wenn ich nicht gerade beim Schwarzfahren erwischt wurde. Es war nur eine rhetorische Überlegung, der Shuttle-Zug ist die offenkundig schnellste Option.
An der Station Messe werden wir wieder von reichlich Polizei, diesmal der des Landes, erwartet und, wie in Frankfurt, betreut zum Stadion geführt. Trotz des Termins im Frühling hält sich das als sonnenreich geltende Freiburg bedeckt. Das war einst im Dreisamstadion immer ein schönes Bild, wenn im in die Stadt diffundierenden Schwarzwald die Wolken hingen. Unten auf dem Rasen Fußball und darüber deutsche Romantik gibt es im Mosswaldstadion nicht.
Erlebnis Mooswaldstadion
Das Mooswaldstadion ist ja von modernen Gebäuden des Wohnens und jeglichen Gewerbes umringt, wo früher wohl der Mooswald war. Heimatliche Waldweggefühle können hier nicht aufkommen, was unsere Anspannung etwas gelöst hätte, angesichts der Ungeschlagen-Serie der Gastgeber. Ähnlich wie wir dachten wohl auch die Freiburger. Zwei Auswärtssiege hintereinander machen die nicht. Hamse ja gefühlt noch nie.
Dieses Stimmungsmemo hat unsere Mannschaft wohl nicht mehr rechtzeitig erreicht. Und als das Schicksal sich anschickte, einen ähnlichen Spielverlauf wie beim Gewinnen in der hessischen Metropole, für gut zu befinden, hätten die Freiburger nach ihrem Führungstor eigentlich auch gleich das Handtuch werfen und duschen gehen können. Hamse aber nicht.
Möglicherweise hat der schnelle Ausgleich dazu beigetragen, dass das Handtuch in der Sporttasche von Julian Schuster blieb. So mussten auch wir unsere unbotmäßigen Zweifel bis in die sechsundneunzigste Minute ertragen. Wie groß die Ungewissheit bei uns war, auch angesichts des Druckes, den die Badener in der Schlussphase machten, zeigt das folgende Geschehen. In der siebenundachtzigsten Minute drehte sich jemand aus unserer Gruppe zu mir um und schrie: „Einen Punkt ham wir sicher!“
Flatter Flatter – Flapp Flapp
In dieser Phase geschah etwas, was so sehr Freiburg zu sein scheint, dass es gar nicht verwunderlich ist, dass es gerade hier geschieht. Anderswo rennen ja mehrheitlich von Testosteron getriebene Wesen auf den Platz, deren einzige Motivation nur sein kann, dass im Block gebliebene Freunde ein Video machen, dass viral geht, weil man Ordner durch geschickte Laufwege dumm aussehen lässt. Denn die TV-Kameras versuchen das nicht ins Bild zu nehmen.
Aber hier in Freiburg springt eine Frau mit Schmetterlingsflügeln auf dem Platz herum. Ohne allzu große sportive Intension, den sich nähernden Ordnern weglaufen zu wollen. Irgendein Na-und-Spieler nimmt sie in den Arm und führt sie zu diesen. Mehr Freiburg geht wirklich nicht.
Und so bleibt nicht nur ein Punkt bei uns, sondern auch dieser einzigartige Freiburg-Moment. Es waren dann wenige bange Augenblicke später sogar hochverdiente drei Punkte. Trimmis Lächeln brachte ihn selbst mit in die Kurve, wo nicht nur er, sondern natürlich die ganze Mannschaft gefeiert wird – für einen Auswärtssieg, den nur die ganz Vermessenen auf ihrer Bingokarte hatten. Als kleines, immer noch wehmütiges Erinnern – diese Punkte waren nicht budgetiert! Und Serien reißen.