In einer anderen Stadt

Oder: Du hast den Stürmer vergessen…Horst Heldt…

Zwischen zwei Spielen auf dem Dorf und einem heimischen Hoffnungsschimmer geht es in die Stadt am Unterlauf der Elbe, die sich selbst nicht nur das “Tor zur Welt” nennt, obwohl da nach dem Tor noch ein sehr langer Flur kommt, sondern auch gern als schönste Stadt der Welt. Das ist natürlich völlig überzogen.

Die Hauptstadt Tschechiens und die Städte der halben Toskana kommen in diesem Ranking weit vor Hamburg. Aber immerhin eine Stadt! Mit öffentlichem Nahverkehr! Mit dem kann man zum Beispiel zu den Landungsbrücken fahren. Dort gibt’s, mit malerisch grauem Gratisblick auf die Trockendocks von Blohm und Voss versehen, eine vielfältige Auswahl an Anbietern von Fischbrötchen und aller Spielarten davon.

Diejenigen, die in leichter Salzlake fermentierten Fisch bevorzugen, sowie die anderen, die alles paniert und frittiert mögen, kamen alle auf kulinarischen Kosten. Selbst die noch in Greifswald leer ausgegangenen konnten die Fischbrötchenspeicher auffüllen wie Habeck einst die Gasspeicher. Dem, von pharmazeutischen Mitteln beeinflusst, Mäkligen bleibt nur der Verzicht und die Abwehr der Barkassenkoberer, die alle behaupten, nur mit einer Hafenfrundfahrt kombiniert wäre es möglich, heute drei Punkte zu holen. In unserer überheblichen Ahnungslosigkeit lehnten wir diese plumpen Versuche uns zu verschleppen vehement ab. Hätten wir jemanden für das Große und Ganze opfern sollen? Man kann auch auf einer Barkasse im Hamburger Hafen ein erfülltes Leben führen.

Noch ein kurzer Gang über die Reeperbahn scheint allen eine nicht zu missende touristische Farbe zu sein. Dazu schlendern wir von den Landungsbrücken aus durch einen Park, wo wohl dem Erfinder eines beliebten Heringsgerichtes, ein zu groß geratenes Denkmal gewidmet wurde. Es hat die voluminöse Massigkeit, die mit ihren Proportionen so gar nicht mit der sie umgebenden Architektur und der Natur harmonieren will, wie sie im ausgehenden Neunzehnten Jahrhundert europaweit beliebt war. Dabei sind die Verdienste dieses Bismarck bei der Entwicklung des Gerichtes ja nicht wirklich valide dokumentiert. Man stelle sich mal vor, das würde für jeden gemacht, zum Beispiel für Walter Brüh.

Bevor es zu kubistisch wird, leben wir den uns Berlinern seit Jahrhunderten eigenen Berliner Unwillen aus. Wir widersetzen uns den Anweisungen der Obrigkeit, in dem wir mit Betreten der Glasflaschenverbotszone, die im übrigen deckungsgleich mit der weitaus bekannteren Messerverbotszone ist, einen Piccolo-Sekt öffnen und trinken. Von gar nicht so weiter Ferne zeigt sich schon das Heiligengeistfeld mit seinem pittoresk umgebauten und begrünten Hochbunker.

Wir wollen aber noch einen Schluck das ursprüngliche Sankt Pauli. Das kommt uns erstmal in Gestalt eines in den Achtziger/Neunziger Jahre gefangenen Punks entgegen. Nein, wir können nicht Schals tauschen. Das ist ein Fanclubschal – da ist nichts zu machen. Nee du, das ist ein ganz alter, den gibt’s so nicht mehr. Wir wünschen uns gegenseitig einen schönen Nachmittag und ein gutes Spiel. Der Punk winkt nochmal mit der Bierdose und zieht in Richtung Schmitts Tivoli ab. Die Zukunft wird zeigen, dass unser Wunsch wohl der ehrlichere war.

Der Raum ist ein paar Stufen vom Gehweg hinunter. Bildungsbürger würden einen solchen Raum Souterrain nennen. Wir nennen es Elbschloßkeller. Ein holzgetäfelter Raum, der das hineinströmende Tageslicht wie ein schwarzes Loch frisst. Der Zigarettenrauch, Schweiß und jede Menge ins Holz eingesogener Alkohol von Jahrzehnten liegt wie ein schützender Kokon über allem und jedem. Die Aura aller jener Gäste, der Werftarbeiter, der Schauerleute, der Männer und auch Frauen aus der Speicherstadt und dem Fischmarkt, die je ihre Feierabende hier verbrachten, den Wochenlohn vertranken, dringt mit jedem Atemzug in einen ein.

Hier wird noch so getrunken, wie es aus der Flasche oder dem Zapfhahn fließt. Nichts ist gemixt. Möge jedem Hipster-Investor seine Ideen in die gentrifizierende Unterhose rutschen. Dass auf der anderen Straßenseite “Der Goldene Handschuh” sein Domizil hat, ist dabei nur ein pikantes Detail. Zurück in diesem Jahrhundert zieht es einen Teil weiter, schon in Richtung Millerntor. Zum einen, weil die uns begleitenden Minderjährigen schlicht zu jung für ein solches Etablissement sind. Zum anderen will man solche Kneipen nicht im Beisein seiner Eltern entdecken.

So laufen wir als kleines Dutzend Weggefährten los. Irritierenderweise ziehen wir die Aufmerksamkeit der in Kleinbussen sitzenden Ordnungsmacht auf uns. Kurz nochmal die Weste zurecht ruckeln und dann zu uns rüber. Ehrlich, wir wollen schon zum Stadion. Alles freundlich und nicht wirklich die Bewegungsfreiheit einschränkend, aber nur weil am Äußeren erkennbar ist, etwas mehr als nur ein Passant zu sein, von Polizisten nach dem Weg gefragt zu werden, ist und bleibt befremdlich. Man stelle sich vor, man wäre mit Merkmalen gesegnet, die viel häufiger zu solchen Befragungen führen.

Bewertungsmildernd nehmen wir mal an, dass das letztwöchige Debakel, bei dem die Stellinger sich an ein paar nicht satisfaktionsfähigen Karnevalisten vergingen, eine erhöhte Geschäftigkeit auf die Einsatzliste der Blue-Men packen ließen.

Die leichtfertige und mit den Sicherheitsinteressen der Polizei nicht korrelierende Einnahme von Getränken lässt sekundäre Bedürfnisse entstehen, die dem Gesprächsbedarf der Ordnungshüter ein wenig entgegenstehen. So reißt unsere kleine Gruppe nach Dringlichkeit auseinander. Am Ziel unserer Reise sind die sanitären Verhältnisse nicht viel besser.

Die gewählte Verweilstation “Markt König” ist im Vergleich zum oben erwähnten “Elbschloßkeller” die Antarktis. Das alles ist also Sankt Pauli. Auf zum Stadion. Das Millerntor-Stadion ist mit Sicherheit eines der besten in der Bundesliga, was die Lage und die Atmosphäre angeht. In der Stadt gelegen, man muss keine weiten Wege in einer seelenlosen Gewerbegebietsanlage laufen, wo sich nicht mal Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, weil die längst in der Ödnis eingegangen sind.

Gut, das Heiligengeistfeld ohne Dom würde von Heidi Klum mit Sicherheit kein Foto bekommen. Aber rund herum leben Menschen, von denen ein großer Teil dem hier ansässigen FC Sankt Pauli anhängen. Es ist eben wie bei uns auch, nicht der Glamour eines neureichen Geldadels prägt das Bild, sondern die Steher auf den Rängen. Der Einlass ist den Gästen ausgesprochen zugewandt. Es ist nicht irgend so ein oberflächliches Larifari, die nehmen das schon ernst. Als erstes im Stadion mal ein Mundloch für die Zaunfahne kapern. Wir nehmen als Gruppe einen ganz schön großräumigen Platz ein. Trotz eigener stimmlicher Einschränkungen ist der Rest vom Block recht laut.

Weil ich mit vierteiligen Holzpuzzlen gespielt habe, empfehle ich allen, die sich für die Zeit zwischen Hin- und Rückreise interessieren, den NdS-Podcast des Millernton. Eine uns sehr vertraute Stimme ordnet das gut ein. Nach Verabschiedung der Mannschaft und Bestärkung mit einem dreifachen “Eisern Union” zieht es uns freudlos zum Bahnhof Feldstraße, wo es eifrige Hochbahnmitarbeiter für eine grandiose Idee mitten durch die Gruppen von Leuten ein Flatterband zu ziehen, weil der Bahnsteig voll sei. Nach heftigem Widerspruch, doch durchgelassen worden, sehen wir den Bahnsteig halbleer. Ich weiß nicht, wieviel Zugluft einen durchblasen muss, um auf eine Begründung zu kommen, dass man zwar nicht wisse, wie das in Berlin sei, aber Ihnen (der Hochbahn) sei das Wohlergehen ihrer Fahrgäste wichtig. Aber ich sag mal so, der Deutsche Wetterdienst würde sicher eine Sturmwarnung herausgeben. Außerdem stiegen in der nächsten Station ja auch noch sehr viele Sankt-Pauli-Fans ein.

Der Bahnsteig der Station “Sankt Pauli” war dem Anschein nach dreimal so voll wie der zuvor. Offensichtlich ist die Hochbahn besonders am Wohlergehen ihrer zugereisten Gäste interessiert. Wir sind ob dieser Fürsorge wirklich gerührt. Echt jetzt. Die Gespräche mit den Sankt Paulianern drehen sich ums Spiel, Baumgart, Feuerzeuge und Einsprüche. Am Bahnhof handeln wir nach der Devise “Und niemals vergessen… Sachen!” und holen unser eingeschlossenes Gepäck ab.

Im Zug verarbeiten wir mittels der bewährten Gesangstherapie die Genese eines schönen Sonntags zu “Du hast den Stürmer vergessen…Ho Horst Heldt…”

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