Was Schlimmeres als den Tod…

Prolog

Wenn wir nicht Unioner wären, dann hätten wir uns in den letzten Wochen sicher schon die Fingerkuppen abgebissen, während wir die Mannschaft ausgepfiffen hätten. Manches Spielende wäre uns nicht mehr im Stadion vergönnt gewesen. Hätten Trikots zurückgefordert. Aber wir sind ja Unioner und sowas machen wir nicht. Sollen andere so handeln.

Und soll doch der sportjournalistische Mainstream die schon abgewetzten Ablaufkarten aus dem Register mit der Signatur “Sportliche Krise” herausholen und all die Podcasts, in denen der Statistik gehuldigt wird wie einst am Berge Sinai um das goldene Kalb getanzt wurde, müssen sich wieder die Zahlen biegen bis sie passen. Sie alle erleben die vermeintliche Menschlichwerdung einer Mannschaft, die von vielem getragen wurde, von der Aufstiegseuphorie bis hin zu einer Geschlossenheit, die über reine Mannschaft hinausging.

Sie reichte bis zu uns auf die Ränge. Und diese Geschlossenheit von spielenden Unionern und anfeuernden UnionerInnen ist noch immer ungebrochen. War uns allen doch immer bewusst, dass es zwar außergewöhnlich ist, was wir erleben dürfen und weit über dem monetären Einsatz des Vereins liegt, aber eben auch erklärbar ist, weil andere, die besser hätten sein müssen, es eben nicht waren. Wenn wir die Historie unserer Zweitligajahre betrachten, dann sollten wir uns erinnern, dass wir oft als Aspirant für den Aufstieg galten und andere nicht erst am Saisonende an uns vorbeigezogen sind. Paderborn, Darmstadt, Braunschweig, Ingolstadt. Also ein durchaus nicht so ungewöhnlicher Vorgang, wie man im Rausch des eigenen Erfolges anzunehmen versucht ist, das ein vermeintlich kleinerer besser ist. Unser vorletztes Jahr in der zweiten Liga war eines, wo wir dem Abstieg genauso nah waren, wie dann dem Aufstieg schlussendlich fern.

Und dann begann das Wunder, von dem wir anfangs gar nicht merkten, dass es eines war. Unentschieden wirken nicht so offenkundig wundervoll und doch mit zwei Unentschieden stiegen wir auf. In der Rückschau begann es für mich mit einem Testspiel in der Loftus Road. Und mit mir wahrscheinlich noch für 2500 weitere UnionerInnen, die die Gelegenheit zu einem internationalen Spiel nicht ungenutzt verstreichen lassen wollten. Und es wären noch mehr gewesen, hätte nicht tags zuvor das Wetter einen Strich durch Flugpläne gemacht. 

Noch ist die Party nicht vorbei, es hat nur jemand das Licht angemacht, weil er was sucht. 

Die Ränge beweisen grad sehr gut, dass sie den unionischen Trotz noch in sich tragen. Was wollt ihr denn? Wir sind Unioner und gut Verlieren können wir, auch wenn es schmerzt, ärgert und selbstverständlich auch ängstigt. Niemand verliert gern. Dennoch treibt uns an einem Samstagmorgen die Lust und Freude auf Union aus dem Bett und zum Bahnhof, nicht die Sorge, auch wenn sie uns natürlich begleitet. Es mag bei jedem eine etwas unterschiedlich stark ausgeprägte sein und jede/r spürt sicher dieses kleine Kribbeln in sich, aber wir reisen stets mit Zuversicht. 

Möge das Bremenspiel die finale Folge dieser mysteriösen True-Mismatch-Serie sein.

Was Schlimmeres als den (sportlichen) Tod…

So gestimmt fahren wir zu gewohnter Stunde in die Ebenen von Bremen, um uns den Mühen mit der uns möglichen Leichtigkeit entgegenzustellen. Die in den vergangenen Saisons liebgewonnene Leichtigkeit des Seins vor einem Spiel ist einer Schwere des irgendwie Müssens gewichen. Wer eine Serie hat, der muss die Folgen tragen. Diesmal muss diese Serie doch enden…

Damit der Geist die nötige Wachheit für diese Leichtigkeit bekommt – erstmal Kaffee und Gebäck mit Käse.

Ab Hauptbahnhof sind wir beinahe vollzählig. Nur einen haben wir zeitweilig an Hypnos und Morpheus verloren. Mit Bier und Berliner Luft vor neun fliegen so geschwind durch die Brandenburger und Mecklenburgische Landschaft in Richtung, dass einem die Vorzüge eines Hamburger Ligakonkurrenten noch mal deutlich vor Augen geführt werden. Schnell den Bahnsteig wechseln, um in einen Zug zu steigen, der über Bremen nach München fährt. Die Logik von Streckenplänen erschließt sich nicht immer, auch nicht auf den zweiten oder dritten Blick.

Zu einer sehr frühen Mittagsstunde sind wir in Bremen. Dem dort stattfindenden Freimarkt einen Besuch abzustatten, gelingt uns nicht. Denn vermutlich schläft man gern etwas länger und so öffnet der Rummel erst um zwölf. Das ist für unsere Anschlusstermine zu spät, also keine “Wilde Maus” für Mara und Tom. Dafür essen wir in den innerstädtischen Mäandern des Freimarktes Rauchlachs mit Rosmarinkartoffeln. Sehr gut, aber für den Preis eine Spur zu wenig von allem auf dem Pappteller. Die zu uns genommenen Kohlenhydrate und Omega3-Fettsäuren spülen wir im Eisen mit Bier aus dem Rachenraum. Während St.Pauli noch gegen Karlsruh’, Karlsruh’ um die Tabellenspitze spielt, gehen wir, wissend um die Bremer Einlassphilosophie, in Richtung Osterdeich und von dort auf der Deichkrone entlang. Das Weserstadion liegt weithin sichtbar am Weserstrand vor grauem Himmel. Das ist schon ganz hübsch anzuschauen. Deutlich vor der offiziellen Stadionöffnung ist der kleine Vorplatz am Gästeeingang schon gut gefüllt. 

Die Lenkung der Besucherströme am Stadion scheint eine ausgesprochen Bremische Interpretation andernorts üblicher Vorgehensweisen. Aus dem großen Pulk sich sammelnder Menschen werden zwei bis drei Ströme kanalisiert, wo man noch zu zweit nebeneinander stehen kann. Aber nur um zehn Meter weiter in einen kleinen Raum zu gelangen, wo der zuvor kanalisierte Besucher wieder in ein kleines Becken fließen zu lassen, um zwölf Schritte weiter in einen weiteren, engeren Gang zu kommen. Dazu gehört auch, erst nach und nach weitere Tore zu öffnen.

Mich erinnert das im Ganzen an die künstlichen Lachsterrassen, damit diese zu ihren stromaufwärts gelegenen Laichplätzen gelangen können. Ob die Ordner hierbei die Rolle der Bären übernehmen, muss jede/r für sich selbst entscheiden. Dieses ausgeklügelte Verfahren sorgt jedenfalls dafür, dass am gleichen Punkt startende Personen zwischen vierzig Minuten und anderthalb Stunden für die gleiche Strecke brauchen. So kann es gelingen, dass man in Berlin verschläft und dennoch mit den anderen gleichzeitig nicht zum Anpfiff im Stadion ist. So verpasst man die wenigen verpassten Chancen und kann sich gleich in moralischer Stärke üben.

Zum Spiel

Ich bin froh, dass wir uns als Block bis zum Ende auf das Anfeuern der Mannschaft konzentriert haben, dann die Mannschaft trotz der Niederlage hoffentlich ermutigt haben. Und deutlich gemacht haben, wer unser Trainer ist und bleiben soll. Denn Schlimmeres als sportlichen Tod könnte uns ereilen, wenn wir vergessen würden, mit wem wir bis hierher kamen.

Zurück am Bahnhof lernen wir eine weitere Variante des Bremer Verfahrens kennen, Besucherströme möglichst so zu lenken, dass es für alle maximal unangenehm und stressig wird. Der Freimarkt befindet sich auf der hinteren Seite des Bahnhofs und der Ausgang dort ist gleichzeitig ein Zugang zum Rummel. Vorn kommen Straßenbahnen und Busse an, so dass alle, die dahin wollen, durch den Bahnhof laufen. Bremer, “eigentlich sindse ja alle nett”, aber irgendwie auch auf umständlich gestrickt.

Im Zug therapieren wir uns alle ein wenig gegenseitig. Und in der Kombination von aufmunternden Worten, Bier und Schokolade tun wir uns alle weniger schwer die Situation anzunehmen, als wenn wir nur den Fernseher ausgemacht hätten. In der Gemeinschaft findet man leichter die Ergebnisgelassenheit* wieder. 

*Vielen Dank für dieses wunderbare Wort an “Die Eisernen“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert