Spaniens Himmel breitet seine Sterne…

… nicht über unsere Schützengräben aus, sondern über UnionerInnen, die aus vielerlei Richtungen ob der nachfragebedingten Flugpreisentwicklung nach Madrid kamen, um der Premiere des 1. FC Union Berlin in der Champions League beizuwohnen. Ein wirklich sehr elitärer Kreis, wie sich in der Nachbetrachtung herausstellte. Lediglich 14 deutsche Vereine spielten zuvor in der Champions League. 

Anders als beim Debüt in der Bundesliga war uns allen diesmal ein namhafter, ehrenvoller Gegner vergönnt. Das weiße Ballett. Nein, nicht das aus Müngersdorf, sondern jenes, welches seit Dekaden den europäischen Fußball bestimmt. Dieser Wettbewerb ist ihr natürliches Habitat.

Zuvor richteten wir uns in unseren temporären Unterkünften von Hotel bis Ferienwohnung mit und ohne Dachterrasse ein. Besonders die, mit Dachterrasse, übt eine magische Anziehung aus und wird zu so etwas wie unserem letzten Basislager vor dem Gipfel. Mit Bier in der Hand wurde hier Einlass gewährt. So sammelten wir uns dort, um nach kurzer Rast in der gnädig warmen Madrider Septembersonne gemeinsam Frühstücken zu gehen oder weiße Caps von der Puerta del Sol zu holen.

Vereinzelt lassen wir uns ein wenig durch die Straßen treiben. Wenigstens ein bisschen vom Flair der Stadt aufnehmen, Geschäfte und Kneipen, Schinken und Süßigkeiten, Hotels und ganze Wohnblöcke mit Ferienwohnungen scheinen das Areal zwischen Gran Via, Puerta del Sol und Plaza Mayor zu beherrschen. Für tiefergehende  Eindrücke fehlt die Zeit. Aber ein Eindruck ist uns allen begegnet. Offensichtlich ist Real in Madrid ähnlich beliebt wie die Bayern in München. Die uns begegneten Madrilenen waren in ihrer Fußballliebe offenkundig mehrheitlich athletisch.

Wenn man nicht gleich am Flughafen ein Touristenticket gekauft hat, sondern leidlich dekadent mit dem Taxi zur Unterkunft fuhr, dann stellte sich die Herausforderung eines zu kaufen, mit dem man zum Stadion gelangt und praktischer Weise auch zurück. Der Automaten sind viele, Renfe- und City-Metro-Automaten reihen sich aneinander, aber bei keinem lässt sich ein Tagesticket kaufen. Wir entdecken aber auf einem Metro-Automaten eine 10-Fahrten-Karte für das gesamte Metronetz. Das klingt so verlockend, dass wir uns die kaufen. Nur um kaum eine Stunde später festzustellen, das gesamtes Metronetz die Schienen auf dem Renfe-Züge fahren nicht mit einschließt. Jedoch lässt uns ein zuvorkommender Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe nach kurzer Diskussion und Kartencheck dann einfach durch. Aber man erwischt sich bei dem Gedanken, Verkehrsverbund, wat lieb ick dir. 

Nahe des Stadions fallen wir noch mal in einen Supermarkt ein, um uns zu verpflegen. Vorhergehende europäische Spiele haben uns vorsorglicher werden lassen. Und wir bekommen wieder einmal mit, dass die sozialen Verwerfungen europaweit ein großes Problem sind. Eine Gruppe junger Mädchen spricht potenzielle Einkaufende an, damit diese zu den eigenen Einkäufen extra Dinge kaufen, die sie dann beim Hinausgehen bei ihnen abgeben können. Das macht noch mal auf andere Weise deutlich, welch‘ ein Luxus dieser Kurztrip quer durch Europa ist. Wohlwissend, dass es unter den UnionerInnen viele gibt, für die, die Reise nach Madrid, die erste seit langem ist. Und auch die soziale Bedeutung der Fanflieger sei hier erwähnt. 

Gestärkt laufen wir weiter, werden aber von einer Madrilenin gewarnt, dass auf der von uns gewählten Strecke die Ultras Sur stehen sollen, so wählen wir die Variante, Hauptstraße entlang laufen. An der Playa de Lima angekommen, werden wir von der City-Police in die eine und von der Guardia Civil zurück in die andere Richtung geschickt. Meines Erachtens nach nur eine scheinbare Konfusion, frühere europäische Spiele und spätere Ereignisse des Tages lassen die nicht unbegründete Vermutung zu, dass diese vielen kleinen Widrigkeiten im Umfeld von UEFA-Spielen absichtsvolles Handeln sind. Man soll sich möglichst nicht willkommen fühlen. Weshalb im nahen Umfeld des Stadions beispielsweise jeglicher Hinweis auf den Gästeeingang fehlt, kann man sich kaum anders erklären. Aber wir finden unseren Weg. 

Estadio Santiago Bernabéu. Kaum ein anderer Ort hat einen größeren fußballerischen Klang. Wie ein gelobtes Land, dessen in ihm spielende Mannschaft sich schon mal in die Chants anderer und in jeglicher Hinsicht sehr ferner Vereine drängt. Dank Grobis bekannter Vorliebe für „Erstbetretungen“ wird er seitlich der schon recht langen einlassbegehrenden Schlange vorgelassen, und wir als Gruppe folgen. Endlich beginnt der Einlass. Der, sagen wir es mal wohlwollend, frei von jeder Unschuldsvermutung ist. 

Blick aus dem Gästeblock auf das Spiel

Alle Kontrollen erfolgreich hinter uns lassend und nach einem zum Teil mit Rolltreppen unterstützten Aufstieg kommen wir auf Level 6 an, suchen unseren Blockeingang und finden Grobi kurz unter dem Dach wieder. Kurz sind wir von der schieren Größe des Ortes und des Ortes selbst und seiner einmaligen Geschichte beeindruckt. Alles, was lange irreale Wunschvorstellung zu sein schien, ist nun real geworden und scheint sich aber im Augenblicke des Begreifens auf eine surreale Ebene zu verschieben. Der Verstand weigert sich noch etwas, den Augen und Ohren zu trauen. Die Torhüter kommen raus. Wir haben unseren Stadion-katechismus so verinnerlicht, dass wir einen Hauch Normalität zurückgewinnen. Den gegnerischen ein wenig anpfeifen und unsere Drei gewohnt lautstark (vielleicht auch eine Spur lauter, der großen Entfernung wegen) begrüßen.

Mittlerweile dringt auch zu uns unter’m Dach durch, dass es am Eingang zu den europäisch üblichen Verzögerungen kommt. Und auch, dass es wohl Probleme mit den Fanutensilien der Szene gibt.

Die daraus folgenden Konsequenzen sind bekannt. Die Szene beschließt nicht ins Stadion zu gehen, auch die, die schon drin sind, gehen wieder hinaus. Ich habe allergrößten Respekt vor dieser Entscheidung. Solidarität zu propagieren ist leicht, sie aber auch zu üben, besonders bei so einem Spiel, ist dann etwas anderes.

Natürlich hätten wir alle gern mit organisierter Unterstützung der Fondo Sur und dem rechts und links sitzenden Operettenpublikum gezeigt wie brachial ein Support sein kann. Aber für Werte zu stehen, heißt auch, die Entscheidungen anderer zu akzeptieren, wenn deren Werte missachtet werden, selbst wenn sie mit den eigenen nicht hundert Prozent deckungsgleich sind. Mir tut es für jeden Einzelnen wirklich sehr leid, dass sein jahrelanges Engagement und bedingungsloser Support nicht mit diesem Spiel belohnt wurde, weil irrationale Sicherheitsbedenken die Oberhand über Vernunft und Verhältnismäßigkeit gewonnen haben. 

Die Blancos, einst mal als die Galaktischen bezeichnet, laufen zur berühmten Hymne ins Stadion ein. Und neben ihnen, getarnt als Bestia Negra, laufen die Unioner auf. Neben den Stars von Real wirken unsere Spieler, trotz eines Bonuccis oder Gosens‘, wie die Guardians of the Galaxy (übrigens einzige akzeptable Marvel-Verfilmung), einem Haufen sozial schlecht beleumundeter Charaktere, die in diese Glitzerwelt nicht hinzugehören scheinen, denen aber eine Aufgabe zuteil wurde, die es lösen gilt. Und gut 93 Minuten bewachen sie die Galaxy Bernabéu gut. Dann wird der talentierte Bruder vom besseren Kroos eingewechselt. Der Rest ist das berühmte weite Feld. 

Während wir unsere Helden feiern, sind die Stars von Real schon duschen und die ihnen Zugewandten auf dem Weg nach Hause.

Ungeachtet des leeren Stadions bleibt es bei der traditionellen europäischen Blocksperre. Diese ist auch wörtlich zu verstehen. Es werden eben nicht die Abgänge gesperrt, so dass man auf der Ebene noch Getränke kaufen könnte oder gar eine Notdurft verrichten. Also singen wir uns durch die Wartezeit und feiern das Auslaufen unserer Spieler. Alles wirkt schon ein wenig traditionell.

Nach mehr als einer halben Stunde dürfen wir auch hinaus in den Madrider Abend. In der für uns nördlicher lebenden Europäer noch warmen Nacht kaufen wir an einem Stand Getränke für den Rückweg. Digital geleitet sind wir auf dem Weg zur Metro. Auf einen schrillen Pfiff hin wird unsere Gruppe durch zwei berittene Guardias getrennt und nach rechts geleitet. Warum? Offensichtliche Gründe sind nicht erkennbar. Nach rund dreihundert Metern ist die Aktion auch schon wieder beendet. Wir überqueren nicht am Übergang die sechsspurige Straße, sondern schnell da, wo man uns wieder freien Weges laufen ließ, und gehen dann jene dreihundert Meter wieder zurück zur Metro-Station. Den Teil der vor uns laufenden haben wir natürlich aus den Augen verloren. Je weiter wir uns vom Stadion entfernen, umso angenehmer wird es wieder. An der Gran Via angekommen, genießen wir die Vorzüge der spanischen Lebensart erst zu später Stunde zu Abend zu essen.

Unterschiedlich lang, je nach Abflugzeit am nächsten Tag, lassen wir den ersten CL-Abend in der Geschichte Unions ausklingen. Verärgert über das verlorene Spiel ist niemand. Über das späte Tor ärgerten wir uns schon, aber doch nur, weil wir alle, inklusive der Madrilenen auf den Rängen wie auf dem Feld, von einer höheren Niederlage ausgegangen sind. Die janz enge Kiste war diesmal wirklich eine. Und es machte sich etwas Ernüchterung breit, weil das berühmte Bernabéu auch nur eine Allianz-Arena ist, gefüllt mit Besuchern, deren Erwartungshorizont von einem Fußballspiel uns nicht mal wahrnimmt, wenn wir gegen sie spielen. Es war im Übrigen das erste Spiel nach dem Umbau und es war nicht ausverkauft. Manchmal sind die hoch hängenden Trauben wirklich sauer.

Adios, ihr, Könige und Königinnen von Köpenick.

Eine weitere Zusammenfassung gibt es im Podcast „Kiek an – der Landsberger Podcast“ mit Yvonne und Jan Grobi. Reinhören lohnt sich!

Champions League Hymne vor dem Spiel
Unkoordinierter Support aus dem Gästeblock und Pfiffe von dem Heimfans.

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