Jo: “Mein erstes Mal”

Samstagmorgen, der Tag ist gekommen, auf einem kleinen Campingplatz am großen Wentowsee in Tornow/Fürstenberg/Havel geht er für mich los. Puh! Oh Mann, oh Mann bin ich vielleicht nervös. Nochmal mein Stück Aufstiegsrasen streicheln, und ab geht´s auf die B96 Richtung Bärlin, mit unserem alten rotweißen VW-Bully T3, meinem „eisernen Mädchen Bullet“. Jetzt bloß kein Stau, oder ’ne Panne auf der Autobahn. Im Geist gehe ich die Alternativen durch, falls die Katastrophe eintreten sollte, doch noch irgendwie pünktlich ins Stadion zukommen. Aber allet geht jut!

15.30 Uhr: Im S-Bahnhof Charlottenburg, fasse im Späti noch ein schnelles Bier für unterwegs und springe in die S3 nach Köpenick – um mich herum nur strahlende Unioner-Gesichter. Was für ein Tag! Und jetzt als Erstes das Stadionheft kaufen … scheiße, AUSVERKAUFT! Au Mann, da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt. Egal, wird schon werden. Ab in die Alte Försterei. Vor gut 15 Jahren bin ich das erste Mal hingepilgert (am 18. April 2004, Union Berlin gegen den 1.FC Nürnberg – 3:5), aber so bewusst wie heute bin ich die 20 Minuten zum Stadion noch nie gelaufen. Die Aufregung, die mich zum Relegationsrückspiel gegen Stuttgart so was von fickrig hier hat langwackeln lassen wie weggeblasen. Heute genau das Gegenteil … sie ist diesem total geilen Gefühl gewichen: Ich bin dabei, beim ersten Bundesligaspiel von Union! Für mich ist dieses Dabeisein schon jetzt der Höhepunkt der Saison 2019/2020. Ob wir die Klasse nun halten oder nicht, dieses erste Mal werde ich immer in meinem Herzen halten!

17.30 Uhr: Nachdem ich mich zum gefühlt zehnten Mal, vergewissert habe, dass die Eintrittskarte noch immer an ihrem Platz ist in meiner Jeansjacke steckt, finales Vorzeigen am Kassenhäuschen … uff! Jetzt noch der Sicherheitscheck – geschafft, ich bin drin. Und als kleines Sahnehäubchen ergattere ich doch glatt noch vor dem Block vier ein Stadionheft! Auf der Gegengerade auf Höhe der Mittellinie quetsche ich mich rein in die fröhliche Menschentraube, lauter glückliche Unioner-Gesichter um mich rum nach dem Motto: „Hier ist mein Zuhause, hier kriegt mich keener weg.“ Erstmal das Stadionheft lesen: schon die Titelüberschrift „UNION rockt ab heute die Bundesliga!“, verursacht bei mir ’ne Gänsehaut. Und dann die Seite 26 erst, der Artikel über unsern Ex-Präsidents Günter Mielis. Was für ein Rekord! Vor 83 Jahren das erste Spiel für SC Oberschöneweide – und jetzt das erste Bundesligaspiel seines FC Union – ein tolles Geschenk vom Fußballgott für ihn, und für uns alle. Getoppt nur noch durch die Aktion „Endlich, dabei“. Mehr geht nicht …

18.25 Uhr: Die Hymne erklingt. Der Rasen vor lauter Banner um mich herum fast nicht mehr zu sehen. Denke noch so für mich: „Ein Gefühl wie inne Kirche“. Da kommt die Frage vom Nachbarn: „Kannste mal das Banner mit hochhalten?“ Aber na klar doch!

Das „Bannerhochhalten“ lässt mich an meinen verstorbenen Großvater denken. Auch wenn er aus dem Münsterland nie rausgekommen ist, schon wegen seines Berufs wäre er als Schlosser ein Eiserner mit Haut und Haaren gewesen. Dass er mir in diesem Augenblick, 50 Jahre nach seinem Tod, so unheimlich nah ist, das hab’ ich den Initiatoren von „Endlich, dabei!“ zu verdanken … DANKE! Und was den einen oder anderen, der das hier liest, vermutlich schmunzeln lässt: mein Großvater Seppl Boll hat bei einem der Vorläufer von Eintracht Rheine, dem Verein für den Marius Bülter zwei Jahre spielte, in den 1920er Jahren seine Fußballschuhe geschnürt …da siehste mal, Günter Mielis beim SC Oberschöneweide, mein Opa in Westfalen … so klein ist doch die Fußballwelt.

Der Anpfiff, und die 90 Minuten gegen die „Brausejungs“ aus Leipzig tritt für mich nach dieser Aktion etwas in den Hintergrund. Na ja, vielleicht auch, weil unsere Jungs „nu fast gar keine Schnitte“ nach den 15 Schweigeminuten bekommen haben.

Aber was für ein Fest im Anschluss ans Spiel Ich kann mich nicht erinnern, in meinem Leben ein Fußballspiel erlebt zu haben, dass nach einer Niederlage eine Mannschaft so gefeiert worden ist, auch nicht in der Alten Försterei. Das 0:4 ist mir auf dem Nachhauseweg schon fast egal. So ’ne schöne Niederlage ist doch etwas Einmaliges und fühlte sich gar nicht so schlimm an wie es sich anhört.

Hauptsache, ich war das erste Mal dabei!

Exil-Unioner aus Charlottenburg

Joachim (Jo) van der Linde

Eine Antwort auf „Jo: “Mein erstes Mal”“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert