„…scheißegal, sind nur die Bayern…“ *

Von Erwartungen, Geburtstagen und Schuhen

Nichtfußballaffinen Menschen den Reiz einer Auswärtsfahrt zu erklären ist oft eine nicht leichte Sache. Ein Vielfaches an Fahrtzeit im Verhältnis zum eigentlichen Ereignis steht einer vernunftbasierten Argumentation breitbeinig im Wege. Meist ist auch der Erfolg ein ferner Freund. Besonders wenn man als kleinerer Verein zu den großen Bayern muss, die auch nicht müde werden, ihre Größe überlaut dröhnend zu verkünden. Rekordmeister hier, mitgliederstärkster Verein da, dazwischen ein, zwei lobende Worte für den Gast. Ist ja überraschenderweise ein Spitzenspiel.

Also warum fährt man, in aller Herrgottsfrühe aufstehend, nach München, wo der Ausgang des Spiels vorhersehbarer ist als anderswo? Neben der Liebe zum eigenen Verein, dem man auch in schwierigen Situationen natürlich beistehen will, ist es meines Erachtens, auch die kleine, etwas irre anmutende Hoffnung einer Sensation beiwohnen zu können oder eben gerade die zu verpassen, wenn man zuhause bliebe (Erinnert euch letztes Jahr an das „Truthahn-Tor“ in Salzburg/Nord). Fußballfans sind irgendwie immer auch halluzinierende Realisten, die schon rational einschätzen können, wie so ein Bayernspiel ausgeht, aber insgeheim auf den statistischen Ausreißer hoffen. Spoiler: der blieb aus. Der wichtigste Grund aber für die viele Auswärtsfahrerei sind aber die Menschen, mit denen man Zeit verbringt, die man neu kennen lernt und die vielen kleineren und größeren Geschichten drumherum.

Deswegen ist das Drumherum bei so einer Fahrt auch eine zu beachtende Größe.

Zum Drumherum. Mitten im Hochwinter kommt der eine oder andere, angesichts von Schneefallmeldungen von schon vor Ort weilenden Unionern, auf die verwegene Idee, sich winterfestes Schuhwerk anzuziehen. Da sie schon eine Weile unbenutzt und unbeachtet wegen mangelnden Winters in der schönen Stadt im Schuhregal standen, schnell die Schuhbürste raus und den Staub heruntergebürstet, etwas Fett drauf, um mit festen Tritt durch’s winterliche München stampfen zu können. Ein guter Plan. Zumal der Aufstieg im Stadion zum Gästerang ohne Sauerstoffmaske als Extrem-Alpinismus gilt. Morgens rin in die Botten, zum Bahnhof – der Schuh hält. In den Zugteil, wo der reservierte Platz wohnt, einsteigen – der Schuh hält. Beim Halt in Halle in den Zugteil wechseln, wo die andern Grenzenlosen sitzen, dafür etwas rennen – der Schuh hält …nicht mehr. Eine nachträgliche Googlerecherche ergab, dass Schuhkleber eine Lebenszeit von 6 – 10 Jahren hat, wobei da meist von unverarbeitetem Kleber die Rede war. Bis hierhin ist es das kleine, für das Weltgeschehen unbedeutende Pech eines Fußballreisenden. Der in anderen Zeiten seine Not irgendwie hätte aushalten müssen, denn wo kaufste an einem Sonntag Schuhe? Zumal im katholischen Bayern. Aber in diesen grandiosen Zeiten, in denen wir leben, gibt es Lösungen. Unser mitreisendes Geburtstagskind, die über einen langjährigen Ebay-Kleinanzeigen-Account (das wird noch wichtig) verfügt, sucht und findet ein paar Turnschuhe (in Rot!) und schreibt dem Anbietenden die Geschichte. Auch über Twitter wird nach Ersatz gesucht. Es entwickelt sich eine Dynamik, die schon ihresgleichen sucht. Nicht nur  UnionerInnen, unter anderem auch die Eiserne Hilfe, sondern auch Dortmunder, Schalker teilen den Tweet. Bieten Lösungen an – an dieser Stelle ein großes Danke an die Brigade Bavaria.

Unterdessen hat sich die linke Sohle gedacht, Hufeisentheorie mal ganz anders, es ihrer rechten Hälfte gleich zu tun und sich von althergebrachtem, aber besonders von dem Schuh zu lösen.

Unseriöse Angebote wie von dem in München lebenden BVBler, Schuhe gegen ein Unentschieden (nein, auch er meinte sein Angebot ehrlich und auch hier danke dafür), konnte ich dann ablehnen, da sich das Kleinanzeigenangebot als das Beste herausstellte. Nachdem sich Hannibal davon überzeugte, dass ein 11 Jahre alter Account wohl keinem Betrüger gehören wird, gab er uns seine Kontaktdaten. Was wirklich großes Kino war. Jede/r möge für sich mal dem Gedanken hingeben, wie er/sie reagierte,  wenn man als Nachricht bekommt: Wir sind eine Gruppe Unioner im Zug nach München und einem von uns ist der Schuh kaputt gegangen. Das ist schon noch ein Stück vom millionenschweren Prinzen weg, aber gefühlt kann man ihn schon sehen. In München angekommen, den kleinen Schuhruhm auskostend, „Ach, du bist das.“, fuhren wir mit der U-Bahn eine Station vom Hauptbahnhof weg und siehe da die Mission „Schuhe für Tom“ konnte erfolgreich abgeschlossen werden. Raus aus die Botten. Nachdem ich nun neu beschuht war, setzten wir die alten recht würdevoll in einem MVG-Mülleimer bei und die kleine Schar Grenzenloser trennte sich, um in ihren Hotels einzuchecken.

Wenn man ein seriöses Hotel im Münchner Rotlichtviertel betreibt, muss man sich wohl ganz strikt an seine Regeln, um nicht abzugleiten. Also kein Check-In vor vierzehn Uhr, später ist immer möglich. Nun gut, dann alles wichtige aus dem Rucksack raus, z.B. die Eintrittskarte und los um mit nicht ganz leerem Magen in die Arena an der Mülldeponie zu fahren. Am Marienplatz sitzen Carsten und ich dann mit einem Bayern und einem Sechz’ger an einem Tisch. Das Geplänkel ist freundlich und entspannt. Aber genau diese Lockerheit lässt uns den möglicherweise siegkostenden Fehler machen. Denn dieser Bayernfan erzählte, dass er noch nie eine Niederlage seiner Bayern im Stadion gesehen hätte. Gut, er ginge ja auch nur zwei– dreimal im Jahr ins Stadion… Wir hätten ihm zehn und  seinem Kumpel drei Bier ausgeben sollen, nur damit er es nicht bis nach Fröttmaning schafft, sondern sein Kumpel ihn nach Hause. 

Eine vertane Chance, wenn jetzt dadurch die Meisterschaft…

Die Arena ist wie sie ist. Weit draußen. Nicht erleuchtet sieht sie aus wie ein Bidet. Nicht nur den Gästefans wird ein langer Fußmarsch aufgezwungen. Für Unioner mag es sich ein wenig wegen des links  liegenden Waldes wie Waldweg anfühlen, aber es ist eine kleine Herausforderung. Auch beim dritten Mal. Und es ist in keiner Hinsicht barrierefrei. Meinen schon traditionell wirkenden Rant mit Verkehrskonzept und so’ne Sachen, lass ich einfach bleiben. Im Stadion angekommen gibt es an den Treppen zu den Gästeblöcken lange Schlangen. Der Zugang ist gesperrt, weil voll. Man wundert sich. Wie kann es denn schon voll sein, wenn wir 2000+Alkoholiker noch draußen stehen? Die Geschichten aus’m Paulaner Garten sind wahr, nur heißen sie in der Arena Paulaner Fantreff, wo Bayernfans Legenden treffen können. So willkommen fühlt man sich nur selten. In zwei Wochen ist wohl Roy Makay da, nur falls jemand möchte.  Zwei Treppenaufgänge weiter, alles frei und offen. Also den Aufstieg wagen. Auch in diesem Jahr hab ich wieder vergessen, mich ins Gipfelbuch einzutragen. Getrennt in den Block gehen, aber vereint im Block stehen, ist ein Zugangskonzept, das sich nur schwer erschließt. Darüber weiter nachzudenken, ist so kompliziert wie es zugleich nutzlos ist, denn neben der richtigen Ortswahl im Block, wird man schon mit Pre-Show und jeder Menge schlechter Musik beballert, das einem jeder vernünftige Gedanke abhanden kommt.

Kurz nach dem das dreihunderttausendste Vereinsmitglied begrüßt und mit einem entsprechend beflockten Trikot beschenkt wurde, begann das Spiel, das sich relativ zügig nach einem anfühlte, in dem die Bayern zeigen wollen, wer der Platzhirsch ist. Sowohl auf dem Platz als auch auf den Rängen, eigentlich nur dem einen. Das wäre auch irgendwie verständlich, wenn es nicht Union wäre. Den Erfolgsverwöhnten geht wohl der feine Sinn für Ironie verloren, denn sonst würden sie uns nicht als Titelaspiranten ernst nehmen. Wie klein muss das groß zur Schau getragene „Mia San mia“ sein, wenn man sich an uns abarbeiten muss. Selbst wenn wir irgendein Blech in dieser Saison gewönnen, wäre das zwar außergewöhnlich, aber doch noch immer Nichts im Glanz der vielen Münchner Trophäen. Aber schön, dass wir nicht mehr die Niedlichen sind. Es fielen drei Tore. Die zweite Spielhälfte ging Unentschieden aus.

Die wichtigste Geschichte ist, dass der Typ, der durch unser Banner auf die Balustrade fiel, von Umstehenden schnell genug wieder hochgezogen wurde und nicht in den Untergang fiel. Das Glück war wirklich auf seiner im Speziellen und unser aller Seite in diesem Moment. 

Zurück in der Stadt saßen wir in großer Runde in einem der vielen Augustiner-Gasthäuser rund um die Frauenkirche noch zusammen. Frohgestimmt stießen wir auf Maras Geburtstag an, auf die verlorene Meisterschaft und die enttäuschten Erwartungen derer, die Union als Bayernirgendwas gesehen haben. Tut uns gar nicht leid, diese Erwartungen nicht erfüllt zu haben. Aus privaten Gründen werde ich Maras Geburtstag nicht mehr vergessen. Sie wird wohl die nächsten Jahre an ihrem Geburtstag immer auch mal an Schuhe denken. Deswegen fahren wir auch auswärts.

*Ali beim Heimspiel im Oktober 2021 an die Waldseite gerichtet

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