Out of Heidenheim

Wir schreiben das Jahr 2025. Zu einer Zeit, zu der sich das Morgengrauen noch mal herumdreht und die Bettdecke bis an die Ohren zieht, stehen wir schon am BER. Nicht, um mit der uns eigenen Dekadenz in einem Privatjet zu reisen, sondern um einen Bus aus französischer Produktion vom Vermieter abzuholen. Dieses Fahrzeug erweist sich als eines für die Widrigkeiten dieser Jahreszeit reisetaugliches Vehikel und als eines mit pädagogischen Ambitionen. In diesem Fahrzeug wird sich korrekt angeschnallt. Wohltemperierter als so manches Klavier rollen wir durch die wintergraue Landschaft einem Morgengrauen entgegen, dass sich wohl gerade den ersten Morgenkaffee macht.

Bei der ersten Kaffee-/Rauchpause zeigt sich, dass nicht nur das Morgengrauen noch im Bad ist, sondern auch das Personal der Raststätte. Der früh auf Reisen seiende Mensch muss sich damit begnügen, seinen Kaffee im Stehen und in der Morgenkälte des Januars trinken zu dürfen.

Je länger die Reise andauert, drängt sich der Gedanke auf, eigentlich will niemand nach Heidenheim. Wo bei anderen Zielen, Fußball auch der vorgeschoben vernünftige Grund für eine touristische Unternehmung sein könnte, ist heute ausschließlich der Fußball oder besser gesagt, die tiefe Zuneigung zu Union der Grund, weshalb wir uns auf den Weg gemacht haben. Ohne gute Bahnverbindung ist es für ein Drittel der Gruppe eben nicht nur eine Auswärtsfahrt, bei der alle mehr oder weniger sich heiter beschwingt die Sinne trüben. Sie sind eben auch für die Fahrt selbst verantwortlich.

Wobei Heidenheim ja nur symbolhaft für die kleinstädtischen Bundesligastandorte steht. Der in seiner Wahrnehmung zu herablassender Vermessenheit neigende Großstadtreisende blickt ja mit gebührender Verachtung auf jede menschliche Siedlung, die kleiner ist, als seine eigene. Natürlich mit der von Sorge getragenen Stimmung, ob die Menschen hier überhaupt ein einigermaßen befriedigendes Leben führen können. Wenn nicht ständig wiederkehrende Hungersnöte, dann muss es doch die kulturelle Ödnis sein, die einem das Leben dort grau werden lässt.

Der monetäre Wohlstand der Gegend ist dabei ein unerhebliches Kriterium. Als diejenigen, die die Schöne Stadt mit Leben füllen, können wir jedem Ort in diesem Land mit diesem Blick begegnen. Was für arme Schweine, die müssen hier leben.

Gut, Landschaft ja, aber Zivilisation? Die Römer sind schließlich schon ein, zwei Monde fort. Wenig überraschend haben sich die Römer auf dem Gebiet des heutigen Heidenheims ein Castell gebaut. Doch selbst denen wurde es nach 80 Jahren zu fad und zogen in das für damalige Verhältnisse wohl tosende Ahlen.

Einen erdgeschichtlichen Wimpernschlag später entstand die Maschinenfabrik Voith, die dem Albstadion auf dem Schloßberg, einen kommerztypischen Namen geben wird. Um den entsprechenden Finanzrahmen dafür zu haben, fing man erstmal an, Maschinen für die Papierproduktion zu bauen, gefolgt von der Entwicklung und dem Bau von Turbinen, die sie schnell weltweit unter die Leute brachten. Aktuell spielen sie eine nicht so rühmliche Rolle bei einigen Stauungen im chinesischen Teil des Flusslaufes des Mekong. Diese Staudämme tragen aus vielerlei Gründen zum Fischsterben im Mekong bei.

Nicht unerwähnt bleiben darf, dass Abwässer und unser Heißhunger auf Pangasius-Filets ihren Teil dazu beitragen. Obwohl die Fische im Mekong wie die Fliegen sterben, wird in der nach dem Turbinenbauer benannten Arena Fußball gespielt. Mein ambivalentes Verhältnis zu der Verwendung des Begriffes Arena ist ja hinlänglich bekannt, aber je kleiner der umbaute Platz ist, desto alberner wird es.

Zwischen Zaunfahne aufhängen, Rote Wurst essen und ein erstes Stadionbier trinken, setzt sich beim Zeilenschreiber die Erkenntnis durch, dass die Idee, die Handschuhe im Auto zu lassen, keine gute war. Denn in Deutschlands höchstgelegenem Fußballstadion ist es im Januar nicht nur frisch, sondern ausgesprochen kalt.

Nichtsdestotrotz waren die Platzherren mit all den schon erwähnten Abwässern gewaschen. Während die Unsrigen mit einer unbedarften Reinheit versuchten, in dem neuen System, das sie spielen sollen, ihren Platz und vor allem den Weg dahin zu finden. Das funktionierte nur so leidlich, sodass der in meinem Kopf schwirrende Titel “Für eine Handvoll Punkte” auf das berühmte Eis gelegt werden musste.

Größte Freude war letztlich die Bestickerung des Gästeblockes, die in der Quantität nicht an Kiel heranreichte, aber durchaus als Maßstab setzend erinnert werden muss, hinsichtlich der Größe und Positionierung von Stickern, von denen drei ausreichen, um einen Smart zu folieren.

Ähnlich bedröpelt wie schon in Bremen verlassen wir das Stadion. Haben wir wenigstens Ansätze gesehen? Muss nur der Knoten platzen? Und wie überhaupt platzt ein Knoten? All die Spielarten, des für den Vereinsfußballenthusiasten typischen irrationalen Optimismus fliegen uns durch den Kopf, wie das Laub im Winterwind auf der Alb.

Im Restaurant zum Goldenen Doppelbogen decken wir uns mit Sättigungsbeilagen ein, denn mehr Restauration ist hier für uns nicht auffindbar. Und uns alle zieht es zurück nach Berlin. Es ist ein wenig wie die Flucht in das vertraute Heim und unter die warme Decke. Dort fällt es leichter, die Realität zu leugnen.

Auf der Rückfahrt fällt mir auf, dass wir am Heimatort von jemanden vorbeifahren, der schon früh erkannt hat, dass es Situationen geben kann, in denen man mit dem Dolch im Gewande zum Tyrannen muss und dieser, anders als bei Schiller, nie in irgendeinem Bunde der Dritte sein darf – Georg Elser.

Die Rückfahrt ist wieder ein sechsstündiges Therapiepaket mit Gesang und Gesprächen, so dass, wider aller Vernunft, bei der Ankunft in Berlin wieder etwas Zuversicht unsere Herzen umspült.

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