Um nach Hause kommen zu können, muss man sich erstmal auf den Weg machen. Vor sechs Jahren machte sich Union auf den Weg in die erste Liga (der Männer). Wir reisten hinterher und brauchten eine Weile, dort anzukommen.
Zum einen, pandemisch bedingt und zum anderen war es ein Realisationsprozess, den wir alle durchlaufen mussten, dass es gar kein Jahr Urlaub, wie immer gesagt wurde, sein sollte, sondern ein Dauercampen in der Bundesliga. Und unser erstklassiger Auswärtsweg begann eben genau in Augsburg, dem Gegner bei dem wir nun zum ersten Mal auswärts einen Saisonweg beenden.
So lohnt es sich, wenn man mit einem ausreichend großem, arbeitsfreien Zeitpolster ausgestattet ist, das komplette Programm des, so in der Bundesliga einzigartigen fanorganisierten Augsburg Calling wahrzunehmen. Wenn man temporär etwas ungepolstert ist, dann bucht man sich einfach einen Stadtführer. In einem sechzigminütigen Parforceritt geht es zu den Eckpfeilern der Geschichte der Stadt. Das durch die Römer aufgegebene Militärlager Augusta Vindelicum hat sich im Laufe der Jahre zu einer recht ansehnlichen Stadt gemausert.
Es brauchte noch einige Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und einige religionsgetriebene Gemetzel bis das sich jetzt Augsburg nennende Städtchen zur Reichsstadt wurde und sich einen bis heute begangenen zusätzlichen Feiertag verschaffte. Das Augsburger Hohe Friedensfest, mit dem die Protestanten ab 1650 das Ende der Rekatholisierung durch das Ende des Dreißigjährigen Krieges begingen.
Denn durch den Augsburger Reichs- und Religionsfrieden von 1555 war die Reichsstadt Augsburg bikonfessionell organisiert worden. Das konnte dem katholischen Kaiser, dass die Stadt, in der seine Bankiers sowie die des Papstes lebten, dem Sündenpfuhl des Protestantismus anheimgefallen war, nicht gefallen.
So kommt es, dass heute einige dieser Geldverleiher in evangelischen Kirchen beigesetzt liegen. Der einzige Fugger, dem in der Stadt ein Denkmal gesetzt wurde, Hans Jacob, hatte das stolze Unternehmen, ob seiner überbordenden Büchersammelleidenschaft, in eine wirtschaftliche Schieflage gebracht. So musste er einen erheblichen Teil seiner Bibliothek verkaufen, die so zum Grundstock der heutigen Bayerischen Staatsbibliothek wurde. Wir lernten aber auch, dass auch im Englischen stets, ähnlich wie bei Kindergarten, immer von Mutter Fugger gesprochen wird anstatt „mother“…
Nachdem wir unserem durch die Stadt schlendernden Balkantrio noch zugejubelt und mit dem Trainer gefrotzelt hatten, waren wir zirkelschlagend an unserem Ausgangspunkt zurückgekehrt und waren nun auf der Suche nach neuen Zielen und Wegen, mit denen wir unsere primären Bedürfnisse befriedigen konnten. Der erste Weg in den nahen Ratskeller entpuppte sich als Irrweg. Zu früher Abendstube ist sie so beliebt, dass eine zwei Dutzend große Gruppe wie die unsrige darin keinen Platz mehr findet.
So teilten wir uns auf, ein jeder von Google-Maps in eine andere Lokalität geleitet. Einige landen im Gasthof am Dom. Die größere Gruppe wird von einem wohlklingenden Begriff angezogen wie der Unioner vom angestochenen Bierfass – Zeughaus. Welch’ verlockender Klang. Der Zeilenknecht war einer von diesen.
Das Zeughaus zeigte sich von einer angenehmen Größe und hat einen sehr schönen Biergarten (für ein anderes Mal zu einer warmen Jahreszeit). Obwohl schon viele Einheimische und Unioner die Plätze belegen, findet sich für uns ein Platz. Das Bier ist gut und die angebotenen Spätzle überzeugen auch den in dieser Hinsicht recht mäkeligen Zeilenknecht.
Da sich im Bayerischen nach zehn Uhr abends alles auf die nahende Polizeistunde vorbereitet, zieht es uns zurück ins Hotel. Dort machen wir uns und alle mit uns dort übernachtenden Unioner daran, mal auszutesten, was das Versprechen eines 24/7-Barbetriebes wirklich bedeutet. Bis zur dritten Stunde des Spieltages können wir bezeugen, dass es uns nicht möglich war, die Bar leer zu trinken.
Nach dem langen Abend zuvor sind die Spieltagsvorbereitungen bei jedem von uns sehr unterschiedlich. Die einen schlafen bis kurz vor dem Aufwärmen der Mannschaft, andere machen ein kleines Rund-um-Augsburg-Event. Nach einem ausführlichen Brandfrühstück machen sich unterschiedlich große Gruppen auf, einen bayrisch-schwäbischen Sonntagmorgen zu geniessen.
Unser Quintett geht zuerst zum Rathausmarkt, wo es eine bunte Vermischung, aber gegenseitig ignorierende Unionern und FCAlern in den Cafès gibt. Der saisonabschließende Fanmarsch wird hier beginnen, uns zieht nach einem Getränk zum Stadtmarkt. Dort soll es im Rahmen von Augsburg Calling ein Fantreffen geben. Aber bis auf die Veranstalter scheinen hauptsächlich Unioner sich für ein Treffen zu interessieren. Die Blaskapelle testete einen Windhauch lang ihre Instrumente, um dann, was an sich sehr sympathisch ist, Luft in ihre Gläser zu lassen.
Uns wird schnell langweilig und unter Unionern werden wir noch den ganzen Nachmittag verbringen. Mit dem Ruf “Rin da” zieht es uns in die Rinderhalle des Marktes, wo wir uns eine ganz hervorragende Leberkässemmel mit freier Senfwahl erstehen. Derartig gestärkt, wollen wir uns mit den anderen treffen, die in einem Café in der Maximilianstraße oder, wie die hier Heimischen sagen, Max-Straße. Bevor wir auf die Café-Seite wechseln können, zieht das ausfransende Ende des Fanmarsches vorbei, von der Spitze wehen ein paar Schwaden von Rauchtöpfen herüber. Die Lautstärke ist noch ausbaufähig.
Die weniger Gelassenen unter uns zieht es zum Stadion. Der Weg ist bekanntermaßen kein kurzer. Im Gegensatz zur Augsburger Szene ziehen wir moderne Verkehrsmittel dem Fußmarsch vor und fahren mit der Straßenbahn bis fast ans Stadion. Die WWK-Arena ist von den ganzen Stadionneubauten eine der gelungeneren Versionen. Der Block ist schön steil, was die Akrophobiker unter uns ein wenig in der Begeisterung beeinträchtigt, aber es ist warm und die Sicht gut.
Dieser letzte Spieltag ist Mottospieltag mit dem Thema: „Retro“. Also haben wir alle unsere alten Fummel, aus denen wir nicht herausgewachsen sind, herausgesucht und ganz fein herausgeputzt. Die Szene hatte tief ins Liederheft geblickt und eine ganz Reihe alter Chants hervorgekramt. Und es hat sich wieder einmal gezeigt, ja, früher war nicht alles schlecht. Manches ist aber definitiv heute aus der Zeit gefallen und anderes war niemals gut.
Aber der Witz, der einem die Leichtigkeit gibt, ein, sagen wir mal, schwieriges Spiel mit Begeisterung zu schauen, sollte wieder ein wenig mehr in unsere akustische Spielbegleitung einziehen.” Eins, zwei, drei und wieder mal vorbei…” war angesichts des Druckes der Augsburger nicht nur frech, sondern von einer feinen hauptstädtischen Überheblichkeit. Diese wurde nicht mal durch den Gegentreffer erschüttert. Einfach über den Torjubel des Gegners drübersingen ist einer der mir liebsten Momente im Block.
Gerade als Augsburg dachte, der gemeinsame Drops ist gelutscht, wechselte Baumgart Ilic ein. Der Doppelwumms für den FCA. Am Ende stand ein überragender und selbstverständlich verdienter Auswärtssieg. Und allen Zweiflern, einschließlich mir, der es auch in der Hitze des Spiels vergaß, sei gesagt, die Nachspielzeit am letzten Spieltag ist Unionzeit, selbst wenn es um nichts mehr geht.
Nach der angemessenen Lobpreisung der Mannschaft und des Teams drumherum ziehen wir vielleicht eilig wirkend, aber mit der Gelassenheit des Auswärtssiegers angemessenen Schrittes den Ort des Triumphes verlassend, zur Straßenbahn. Denn wir wollen im Rahmen des Augsburg Calling in einem Gasthaus gemeinsam essen. Zu diesem Zwecke haben wir sogar 25 Plätze reserviert.
Mit nur 21 Leuten kommen wir in dem Gasthaus Thorbräu an, die ein eigenes Bier anbieten. Zur Überraschung des Personals wollen wir alle auch etwas essen. Das scheint wohl recht ungewöhnlich zu sein. Aber lest selbst die Bewertung einer unserer Mitreisenden:
Wir waren heute als Gruppe im Thorbräu zu Gast im Rahmen des Programms von Augsburg Calling, um den letzten Bundesliga-Spieltag ausklingen zu lassen.
Das Ambiente top, die Stimmung gut und draußen sogar mit Live-Musik. Doch was folgte, war ein echter Langstreckenlauf mit Ballverlusten in der Servicekette. Die Organisation vom Service war Abstiegskampf der schlechteren Sorte. 30 Minuten bis zur ersten Getränkerunde. Das Essen? Kam in der zweiten Halbzeit, bei manchen gar nicht – trotz VAR-Anfrage am Tresen. Das Personal wirkte dennoch bemüht wie ein Drittligist im Pokal gegen die Bayern – sympathisch, aber schnell überfordert und überrannt.
Fazit: In 2,5 Stunden ein bis zwei Getränke und ein Hauptgericht – das reicht am Ende leider nicht für den Klassenerhalt und bedarf einer neuen taktischen Ausrichtung durchs Management.
Was in der Bewertung nicht so Beachtung fand, das Essen war leider auch noch nur mittelmäßig. Beispielhaft sei mein Gericht genannt – die Pannade bei einem Schnitzel sollte nicht fett-triefend sein.
Eine zugegeben sehr subjektive Einschätzung zum Hellen von Thorbräu möchte ich auch noch in die Annalen der Reiseberichte nageln, zumal in unserem Fanclub über die Bierfrage, Helles oder Pils, Religionskriege ausbrechen könnten, also es unterscheidet sich von Mineralwasser lediglich durch seine leicht gelbliche Färbung.
Entsprechend unbefriedigt machen wir uns auf dem Weg zum Hotel, dort angekommen, entscheidet sich der emotional sensiblere Teil der Gruppe, ob der kulinarischen Enttäuschung, in der Hotelbar noch ein letztes Riegele zu trinken. Andere können den Traum von Europa nicht ganz loslassen, schauen ein wenig den europäischen Gesangsdarbietungen zu.
Aber vernünftigerweise zieht es uns zeitig in die Hotelzimmer, denn der Weg dieser Saison ist noch nicht zu Ende. So haben wir alle Pläne einer entspannten Rückfahrt über den Haufen geworfen. Der Bahn verschafften wir eine bezahlte Leerfahrt, da wir wegen des anstehenden einmaligen Ereignisses pünktlich in der Försterei sein mussten. Die DBler gaben sich, jede/r an seiner/ihrer Stelle, alle Mühe uns pünktlich in Berlin abzuliefern. Und es gelang.
So war unser Mob eine dreiviertel Stunde vor Anpfiff im Stadion. Der daheimgebliebene Teil hatte einen Großteil der Vorbereitungen übernommen. Denn wir wollten diese Saison extra ordinaire der Frauen angemessen ausklingen lassen.
So traf sich einige Wochen zuvor eine Gruppe um Tapetenvorschläge zu lektorieren. Unsere Intensiv-Tapeziererin fertigte ein Gewitter von Tapeten an. Die naive Vorstellung, einfach an die vorgesehenen Positionen im Block zu gehen, wurde die ganz wunderbare Verdreifachung der durchschnittlichen Zuschauerzahl erheblich erschwert. Dieser Weg war wirklich kein leichter, auch wenn er sicher leichter war als der der Frauen auf dem Platz, die uns mit einem weiteren halben Dutzend Tore erfreuten, während wir versuchten, sie mit unseren Tapeten unserer Dankbarkeit zu versichern.
Der Weg, den die Frauen gegangen sind, über nunmehr zwei Spielzeiten, erschien uns in unserer Begeisterung für dieses Team wie der übermütige Lauf über eine morgenfrische Wiese. Und nur die Vernunft zügelte uns in der Annahme, der Leichtigkeit auf dem Platz ginge nicht harte Trainingsarbeit voraus. Diese wird am Ende nicht nur von uns auf den Rängen gefeiert, sondern eben auch mit dem Titel der zweiten Liga.
Ganz sicher geht uns allen beim ausgelassenen Feiern der Eisernen Ladies der Gedanke durch den Kopf, dass dieses Team, trotz all der schmerzlichen Abgänge, nicht am Ende eines Weges steht, sondern am Beginn eines verheißungsvoll erscheinenden. Da die von uns zu Göttinnen erhobenen alle Königinnen sind, war es eine der großartigsten Ideen, dass nicht Queen gespielt wurde, als sie die Meisterschale erhielten, sondern “Three Lions”. Spätestens damit wurde auch dem Letzten im Stadion klar, dass dies ein Tag war, an dem der Fußball nach Hause kam.