Oder: Unter Brücken zeigt sich dem Unioner die helle Seite des Lebens
Das Ende des zweitägigen BVG-Streiks ist knapp fünf Stunden her, da vertrauen wir noch nicht ganz darauf, dass es eine reibungslose Wiederaufnahme des Fahrplan gibt. Also besser einen Fußweg einplanen und siehe da, ein Bus ist zeitiger da als geplant. Dank dieses Übereifer des fahrenden Personals erreicht der Zeilenknecht hier auch eine S-Bahn früher als geplant. So zeitig am BER zu sein, gibt mir ausreichend Gelegenheit, mich ausgiebig der morgendlichen Getränkegrundversorgung hinzugeben.
Das Zafira-Oktett
Zu Acht in einem Sixt-Auto zu reisen, ist nicht nur erlaubt, sondern sehr gewünscht. Da das Leben außerhalb Unions, die influenzabelastete Luft und womöglich die mangelnde Attraktivität des Reiseziels unsere durchschnittliche Reisegruppengröße schmälerte, luden wir uns sympathische Mitfahrer ein. So geht es raus aus dem Parkhaus für Mietwagen des BER, Richtung der Fußballregion Deutschlands. Auf dem grauen Band, namens A2, gleiten wir gen Westen. Vorbei an Reihen von LKWs, die wahrscheinlich alle schon einen Halteplatz für die sonntägliche Ruhephase suchten.
Ein Fahrzeug auf der Fahrt zog besondere Aufmerksamkeit auf sich. Dachten wir zuerst, dass es sich um den vereinseigenen Maskottchenbus des HSV handelt, offenbarte es sich beim Vorbeifahren als ein Schaustellerfahrzeug mit vier lebensgroßen Dinos. Das war ganz hübsch anzuschauen. Und zwar so sehr, dass der auf dem Beifahrer sitzende Boomer vor Begeisterung vergaß, Beweisfotos zu machen. Als richtiger Boomer wird hier natürlich jede Verantwortung an diesem Versagen zurückgewiesen. Schließlich hätte die Jugend ja auch mal…Und hier Ausreden gelten zu lassen, wie “Ich saß ja ganz hinten…”, “ Ich bin ja gefahren, da konnte ich nicht auch noch…”, hört jetzt nach Sonntag auf.
Am Samstag wäre das noch gegangen, aber jetzt mit dem neuen alten Fritz ist das vorbei. Einige P- und P-Pausen später rollen wir in das Autobahn- und Zubringernetz Dortmunds ein. Ortskundige Führung und Leitung bringt uns ohne Fehl und Tadel an den vorab gebuchten Parkplatz P3. Falls der aufmerksame Lesende bis hierhin noch nicht darauf gekommen ist, was der Schreiberling mit P und P meint, hier die Auflösung: Das steht selbstverständlich für Pinkeln und Paffen, den eigentlichen Taktgebern einer jeden Reise.
Dortmund, die drittgrößte Stadt Nordrhein-Westfalens, ist an allen Ecken von Autobahnkreuzen eingezwängt, von denen das bekannteste wohl das Kamener ist. Das musikalischste hingegen führt nach Hagen. Mit lediglich zwei Sightseeing-Highlights, einem Haus, das ein U auf dem Dach hat und dem Fußballmuseum des DFBs, wird jeder touristische Reiseansatz recht überschaubar. Die Theaterbeflissenen fahren nach Bochum, um nach einem Abend im Schauspiel im Bermudadreieck auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.
So ist Dortmund auch eingezwängt in einen immer mehr abgetragen wirkenden Mantel verblichener Fußballerfolge und der brennenden Sehnsucht danach. Und da rettet auch keine Finalteilnahme in der Champions League einen Trainer, wenn dieses nicht gewonnen wird. Kurz gesagt, eine typische Stadt im Ruhrgebiet. Vieles war und ist noch hier, wie in unseren Breiten auch, im Umbruch, aber wenn die Schwarzgelben eine Krise ihr eigen nennen, dann ist das weit entfernt von dem, was die Vereine rund herum so nennen würden, geschweige denn ein Verein aus dem Osten des Landes. Was bei uns wie ein Norovirus wirkt, ist bei den BVBs, Bayern etc. dieser Liga bestenfalls eine leichte Magenverstimmung.
Die Einstufung als Top-Spiel, wobei wohl weniger sportliche Aspekte als die Hoffnung auf ein mediales Spektakel als Begründung dienten, eröffnet uns die Gelegenheit, noch eine Lokalität mit warmen Tellergerichten im Angebot aufzusuchen. Groß war die Versuchung, nochmal die „beste Currywurst westlich Berlins“ zu verzehren. Aber wir sind schwach geworden und gaben uns der erstbesten Versucherin hin, die uns neben griechischen Gerichten auch Sitzplätze anbot. Vermutlich werden wir dafür in einem der neun Höllenkreise schmoren. Aber auch satt.
Fango-Packung … äh Packung jefangen
Das Umfeld des Westfalenstadions wie das Stadion selbst ist auch schon zu noch anstossfernen Zeiten belebt. Was für ein Gegensatz zu Sinsheim! Dafür werden wir hier im Stadion auch ordentlich mit BVB-Mucke beschallt. Auch wenn sich die Schmerzgrenze meldet und Grenzkontrollen möchte, ließe sich all das musikalische Getöse als Folklore ertragen, wenn nicht auch Nobsi Dickel unsere Gehörknöchelchen zum Schwingen brächte. Und jedem, dem bei Dickel von Ferne ein hallendes “Errrrliiiing…. HAAAALAAAND…” an die Innenseite seines Schädel scheppert, weiß, was ich meine.
Sechs verdammte Torhymnen später gehen wir weniger deprimiert aus dem Stadion, als es angesichts des Ergebnisses angebracht zu sein schien. Vielleicht ist es wie bei einem Boxer, der mit dem sechsten Treffer auf die Bretter geht. Die ersten drei taten noch weh, dann schaut man wie Axel Schulz gegen Brian Minto nur noch zu. So war der Abpfiff mit seinem Verzicht auf jegliche Nachspielzeit durchaus mit einem Handtuchwurf vergleichbar.
Um im Bild der oben erwähnten Magenverstimmung zu bleiben, für den BVB waren wir heute das Talcid. Ist die Fußballseele auch noch so geschunden, kann sie doch nie so geschunden sein, dass Unioner nicht Brücken auf ihre Sch*-Dy*-Tauglichkeit prüfen. Und wie wir am Parkplatz noch wartend hörten, waren wir nicht die einzigen, die diesen Impuls in sich spürten.
Später, als die von LKWs befreite Autobahn vermuten ließe, kamen wir dann doch alle ein wenig zerschlagen in Berlin an.