Landläufig wird der an Aller und Mittellandkanal liegenden Planstadt unterstellt, es gäbe nichts Besseres an ihr als die Straße, die aus ihr hinausführt. Das ist natürlich eine recht unterkomplexe Betrachtungsweise. Denn es spricht schon einiges für die Stadt der Autobauer. Zum Beispiel ist sie mit dem Zug nur eine gute Stunde von der Schönen Stadt entfernt. Für den Beinahe-Allesfahrer eine angenehme Auswärtsfahrt, ausschlafen, Frühstück, dann eine Stunde Zugfahrt, Fußball gucken, Union anfeuern und vor dem Sportstudio wieder zurück zu Hause sein.
Der Text hätte sich hier lockerflockig mit allen Klischees beschäftigt, die einem zur einstigen KdF-Stadt einfallen und alle dies Lesenden hätten vielleicht ein bisschen Spaß gehabt. Wenn jedoch die vom Land Niedersachsen mit der Ausübung des Gewaltmonopols betrauten Beamten es im Sinne der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung für verhältnismäßig erachten, in einen Eingangsbereich, in dem sich nicht nur vermeintlich „gewaltbereite Szenefans“ befinden, sondern auch Frauen und vor allem Kinder aufhielten, großflächig Pfefferspray zu sprühen, ist Schluss mit lockerer Plauderei. Darüber kann nicht mit Scherzen hinweg gegangen werden. Hier wird die Akzeptanz der Freiheitlich-demokratischen Grundordnung von denen beschädigt, die sie eigentlich schützen sollen.
Zum Anlass lässt sich nichts Genaueres sagen, als das, was man danach hörte. Ob es nun der Versuch von Fans war ohne Ticket ins Stadion zu kommen und dementsprechend Druck auf die Bereiche mit den Drehkreuzen auszuüben oder ob die Anzahl der mitgebrachten Fahnen größer als die der angemeldeten gewesen war ist am Ende nebensächlich. Medien berichten, basierend auf Polizeimeldungen, dass lediglich einem Fan der Zugang verwehrt wurde und sich daraus eine gewalttätige Auseinandersetzung entwickelte.
Die darauffolgenden Entscheidungen der Polizei waren absolut nicht akzeptabel. Sicher gibt es Situationen, wo die Anwendung von Gewalt zur Unterbindung größerer Schäden an Menschen und meinetwegen auch Sachen angebracht ist. Deswegen haben wir uns als Gesellschaft darauf verständigt, diese Aufgabe Menschen zu übertragen, die in allen Belangen geeignet sind, dies mit der gebotenen rationalen Kühle zu tun, Situationen einzuschätzen und angemessen zu reagieren.
Großflächig in einen Eingangsbereich, der eben keine freie Fläche ist, sondern eine an beiden Enden abriegelbare Zone, durchzogen von der Vereinzelung dienenden Geländern und Zäunen, Pfefferspray einzusetzen, wo eben auch Unbeteiligte stehen, die sich nicht einfach entfernen können, ist in keiner Weise angemessen. Es ist obendrein ein kameraüberwachter Bereich, womit eine nachträgliche Identifizierung nicht aussichtslos erscheint. Somit scheint alles andere eine bessere Option zu sein als dieser Gewaltexzess. Wenn statt Fußball und laute Unterstützung für die Mannschaft geholfen wird Kindern die Augen mit Wasser auszuspülen, dann ist das ein ausgemachter Skandal.
Ein weiterer Skandal, der wie die davor entweder gar nicht oder nur beiläufig von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden wird. „Fußballfans eben, alles besoffene Dumpfbacken, da trifft es nie die falschen…“ Als da wären, die in Wolfsburg schon am Bahnhof festgesetzten Bremer, die verletzten Frankfurter, weil ein den Innenminister kritisierendes Banner sichergestellt werden sollte, die 800 über Stunden in einem Regionalzug festgehaltenen Hamburger, darunter Frauen und Minderjährige, weil die Polizei rund 30 männliche Gewalttäter ermitteln will, inklusive einer exzessiven Datenerfassung. Das ließe sich noch einige Zeilen fortführen.
Eine ehrliche Auseinandersetzung wird es auch diesmal nicht geben. Weder über die überzogene Polizeigewalt noch über die grundsätzlich hochgefahrene Zahl der Einsatzkräfte, inklusive berittener Kräfte. Das variiert von Bundesland zu Bundesland, ist aber in der Tendenz überall erkennbar. Aber dieser Vorfall wird natürlich benutzt werden, wenn die Innenministerkonferenz mal wieder über schärfere Maßnahmen berät.
Das all die diskutierten Maßnahmen letzten Endes nicht nur Fußballfans betreffen werden, zeigt die Verlängerung der Grenzkontrollen nach der EM. Eingeführt um Fußballhooligans an der Einreise zu hindern, fortgeführt um eine Lösung in der Frage der Migration vorzutäuschen. Das betrifft uns natürlich nicht, außer wir fahren mit dem Auto über eine Grenze innerhalb des Schengen-Raumes und stehen wegen der Grenzkontrollen im Stau.
Viel gravierender sind diese überzogenen Maßnahmen aber für die Akzeptanz von Demokratie. Es gibt im Alltag wenig Kontakt zu Einrichtungen oder Personen, die wir im weitesten Sinne als Staat wahrnehmen. Allgemein sind das die Bürgerämter, ein funktionierender ÖPNV, die Stadtreinigung und Müllabfuhr und bei Kindern noch Schulen. Häufen sich da Probleme, wird das oft auch als eine Art von Staatsversagen wahrgenommen und führt zu einer abnehmenden Akzeptanz von demokratischen Verhältnissen.
Wie werden also die betroffenen Unbeteiligten dieses überzogenen Polizeieinsatzes wohl zukünftig Polizeibeamte und damit auch den demokratischen Rechtsstaat wahrnehmen?
Mit ein bisschen Glück – angemessen kritisch. Aber mit jedem Reizgaseinsatz, mit jedem Angeschrienwerden, weil das Klo dummerweise hinter der Polizeikette liegt, mit jeder berittenen Streife im Umfeld von Stadien wird man von diesem Glück mehr brauchen.