Die erste Runde im Pokal fühlt sich für Erstligisten immer noch ein bisschen wie pre-season an. Während die anderen schon im Ligabetrieb, testet man selbst noch. Die Gegner sind obendrein unterklassig und hochmotiviert. Ruhm und Ehre warten nur auf sie. Selbst ist man der Favorit, der nur das zu Erwartende zu erfüllen hat oder sich blamiert.
Nach der weiten Reise ins Hopplaland im vergangenen Jahr ging es diesmal in die vertrauteren Gefilde Vorpommerns. Mit dem RE nach Greifswald klingt verlockend kurzweilig, vernachlässigt aber die Widrigkeiten des modernen Bahnfahrens. Denn tatsächlich nutzen, Menschen das Angebot und wollen auch noch Gepäck mitnehmen. Das ist in seiner räumlichen Ausdehnung so nicht unbedingt geplant. Regionalzüge sind mehr für den Pendlerverkehr gedacht. Viele Unioner haben sich schon am Freitag auf den Weg in die Hansestadt gemacht.
Auch wir haben uns in zwei Tranchen aufgemacht, vielleicht ein wenig kulturgetrieben ging die erste Schar am späten Freitagvormittag das Abenteuer an, im Sommer nach Greifswald zu fahren. Interessanterweise wurde weder das Deutschlandticket kontrolliert noch ob wir topografisch korrekt mit Strandfashion ausgestattet sind.
Von Romantik und Kriegen
Keine drei Stunden später sind wir auch schon angekommen. Greifswald, bekannt für seine Universität und für den Maler der Romantik mit den drei Vornamen, wurde 1199 als Kloster Eldena gegründet. Ein für diese Zeit lange währendes Menschenleben später erhielt dieser Flecken 1250 schon das Stadtrecht. Zwei weitere Menschenleben später schloss man sich der Hanse an, ein Schritt, der bis heute irgendeine kulturelle Bedeutung bei Küstenstädten hat.
Drei Jahre nach dem Fall Konstantinopels an die Osmanen dachten sich die Vorpommern – Bildung ist wichtig! – und gründeten 1456 eine Universität. Als die Schweden im Dreißigjährigen Krieg den Protestanten zu Hilfe eilten, fanden sie Vorpommern so schön, das sie bis 1815 blieben. Mitten in dieser Phase der Zugehörigkeit zu Schweden wurde 1774 der schon erwähnte Maler geboren. Die Kopfrechner oder auch nur Feuilletonleser haben sicher schon bemerkt, Caspar David Friedrich wäre in diesem Jahr 250 Jahre alt geworden. Aber in die Annalen wird das Jahr 2024 natürlich mit dem Spiel des 1. FC Union Berlin gegen den Greifswalder FC eingehen.
Nichtsdestotrotz wandeln wir auf den Spuren CDFs durch die Altstadt. Der mit happigen 8,00 € recht teure Eintritt ins Geburtshaus ist dennoch ganz sehenswert. Der Preis relativiert sich ein wenig, wenn man den dargebotenen Dokumentarfilm anschaut. Auch wenn der mit 45 Minuten für einen Museumsbesuch zu lang ist.
Der küstenkühle Spieltagsmorgen beginnt mit einem ausgiebigen Frühstück, der bierreiche Vorabend will mit Koffein gekontert werden.
Der Spaziergang zum Bahnhof hilft gleichfalls. Schnell belege ich eines der neun Gepäckfächer und erwarte die nahende Ankunft des Restes unseres garnicht mal so kleinen Mobs. Doch die vermutete nahe Ankunft zieht sich in die Ferne. Der Bahnhof wird von Polizei aufgefüllt, die “Szenekundigen” stehen auch schon eine Weile auffällig unauffällig herum, wobei die Frage offen bleibt, für welche Szene eigentlich, wie sich im Laufe des Tages zeigen wird.
Aber Verzögerungen können das Unvermeidliche nicht verhindern. Und eine wunderbar große grenzenlose Gruppe entert die Hansestadt. Dem, mit einem Tag mehr Ortskunde versehenen, wird die stadtführerische Leitung angetragen. Also alle nochmal pullern und rinn in die Stadt, hier Sternwarte, da Dom, kiekste hier Geburtshaus von CDF und zack sind wa uff’m Marktplatz, wo das merkantile Treiben ein wenig die fotografischen Motive stört. Da viele Unioner die dortigen Lokalitäten schon mal ordentlich aufgefüllt haben, ziehen wir zum Museumshafen, wo wir in eine Schiffbar einkehren. Fischbrötchen und Störtebeker-Bier waren die Auswahlkriterien. Trotz einer gewissen Unordnung beim Bestellen werden 95 Prozent aller Wünsche aufs Beste erfüllt.
Die Zeit drängt uns zum Aufbruch ins nicht gut gewässerte Stadion
Der Großteil entscheidet sich für ein Angebot des örtlichen Nahverkehrsunternehmens. Mit einer Fahrtzeit, die man Greifswald so gar nicht zugetraut hätte, kommen wir schon mal gut angesungen am Volksstadion an. Der Einlass ist von einer lockeren Ernsthaftigkeit geprägt. Das Stadion selbst ist eine kleine dachlose Mehrsportstätte mit einer vierbahnigen Laufbahn. Ob hier noch mehr getrieben als der Fußballsport des Greifswalder FC, weiß ich nicht, jedenfalls die Sprunggrube wurde zu diesem Spiel längs mit einer Werbebande geteilt. Als klug und doch realitätsverfälschend erwies sich die Idee auf dem Weg zum Block, sich schon mal ein Bier mitzunehmen. Denn die scheinbare Zügigkeit erwies sich schon deutlich vor Anpfiff als ein Trugschluss. Sicher hielt man sich für weitsichtig zwei Bierwagen hinzustellen und hat doch zu klein gedacht. Zumindest personell.
Ein vierzigminütiges Gedränge und Geschubse wie zu besten Loveparade-Zeiten am Ku’damm sind schon eine Zumutung. Mit jeder Minute Wartezeit erhöht sich die Anzahl der gewünschten Getränke. Eine eigentlich nicht so neue Erkenntnis lässt sich in die, dem ländlichen Raum geschuldete, Phrase zusammenfassen: Der Unioner darf nicht trocken stehen, sonst wird er grumelig!
Das Spiel gestaltete sich ebenso zäh wie das Bierholen zuvor. Obwohl auch einige gute Ansätze zu sehen waren, dachten die Greifswalder nicht daran, hier einfach pflichtschuldig unterzugehen. Am Ende hat sich der Favorit (ach herrje, das waren ja wir) durchgesetzt.
0:1 reicht uns im Moment obwohl der nahenden Saison
Für die Rückfahrt füllen wir die Essens- und Getränkevorräte in Bahnhofsnähe auf. Zu sehr wurden wir auf in Greifswald einlaufende Koggen hingewiesen. Eine Besonderheit, die es sich lohnt, mal auszuprobieren: gebratener Eierreis wird hier gänzlich ohne Ei gemacht.
Herzlichen Dank lieber Tom,
immer wieder ein Hochgenuss dein Spieltagsbericht.
Dazu der Ausflug in die Tiefen der Greifswalder Vergangenheit. Und “on top” die informative Fotoserie.
Mein persönlicher Favorit…das Fischbrötchenfoto…zum Reinbeiẞen…