Ein Reisebericht aus 2 Perspektiven von Jan Grobi und Cuttertom
Lichtenberger Serenaden eines Schichtarbeiters
Den ganzen Freitag war ich unruhig. Früh um 6:00 begann die letzte Frühschicht der Woche, am Abend vorher das Spiel der Eintracht beim Twitterstammtisch gesehen.
Ja, du bist echt bescheuert, Grobi! Du willst um 0:02 Uhr vom Bahnhof Lichtenberg losfahren. Nach Freiburg! Im Partyzug! Du bist über 50 und du wirst verdammt wenig schlafen.
Nach der Schicht also ausgiebig (Nach-)Mittagschlag gemacht und am Abend die Sachen für die Fahrt raus bzw. eingepackt.
Mara holt mich um 23:00 Uhr ab und am Bahnhof treffen wir dann Conny.
Wir drei besteigen freudig den Bahnsteig und platzieren uns in unserem Abteil. Mit uns fährt noch eine Familie, so dass das 6er Abteil voll ist.
Der Zug rollt. Ich hab‘ inzwischen Jogginghose und alte Schuhe an und wir begeben uns ins volle Partyabteil. Dort trifft man auch die Medienabteilung um Christian Arbeit. Ein paar Bierchen, einige Zigaretten und zweieinhalb Stunden später begeben wir uns über klebrigen Boden zurück in unser Abteil und bauen es zum Schlafwagen um.
Morgengrauen I
Kurz vor sieben, schon wieder in rotweißer Kluft am BER stehend.
Ein Hauch von Deja vu liegt in der Luft als Carsten und ich uns dem Sicherheitscheck nähern.
Locker hindurch, weil innerhalb Europas zum Euroairport Basel-Mulhouse-Freiburg. Zusätzlich mit im Gepäck, die Wünsche des Sicherheitsmannes, man möge drei Punkte mitbringen. Noch respektvoll erwidern wir, dass ein Unentschieden auch schon super wäre.
Kurzschlummern und schon landet man wieder.
Dank dem vielreisenden Carsten bin ich diesmal nicht der Herde hinterher und in Frankreich rausgetrottelt, wo dann an jedem 18. Brumaire ein Bus nach Freiburg fährt. Während in der calvinistischen Schweiz der Bus nach Basel alle 10 Minuten fährt.
Im ICE nach Freiburg sitzen wir mit zwei weiteren Unionern im Bistro und nehmen erstmal: Käffchen!
Angekommen entschwinden die beiden anderen in der Menge. Auswärtsfahrten sind eben auch ein großes Kennenlernprojekt.
Jetzt aber schnell ein Gepäckfach kapern. Während wir noch unseren Kram sortieren um gleich in stadiontauglichem Outfit zu sein, und ja Fischerhut war ein stilvolles Musthave, lösen wir bei dem zufällig vorbeilaufenden Bundespolizisten einen kleinen Panikanfall aus. Ankunft des Sonderzuges verpasst? 1000 freilaufende UnionerInnen in Freiburg?
Woher wir denn jetzt kämen? In seinen Augen sah man förmlich wie er die Fahrpläne durchratterte. Carsten konnte ihn mit einem freundlichen „Aus Basel.“ beruhigen. Schlagartig verloren wir wohl an Bedrohungspotential. Er und seine KollegInnen werden ihre ganze Fürsorge dem sich nahenden Sonderzug widmen.
Wir nutzen die verbleibende Zeit um mit Jette, Dominik, Papa-Jette und Jette-Cousin zusammen zu kommen.
Ein Brauhaus scheint der ideale Ort zu sein, um die schwindende Zeit bis zum Spiel mit Essen und Bier auszufüllen.
Morgengrauen II
Gegen 7:00 Uhr bin ich wach und brauche Kaffee. Essen hat Mara (wie immer) übermäßig eingepackt. Aber Kaffee!!! Also schleiche ich mich ins Partyabteil zurück, wo der Versorgungsshop beheimatet ist. Zurück im Abteil sind alle schon wach und wir rauchen auf dem Gang in aller Ruhe dem Morgengrauen entgegen. Die Bahnhöfe ziehen an uns vorbei, Frankfurt, Mannheim usw. werden mit Schlachtrufen begrüßt.
Wir kommen gut voran, als Freiburg noch eine halbe Fahrstunde entfernt ist, stoppt die Bundespolizei unseren V.I.R.U.S.-Zug: Die Freiburger sollen von uns ferngehalten werden! Fantrennung heißt das Fachwort.
Endlich! Freiburg-Hbf – wir steigen aus, natürlich in Ausgehklamotten und werden sacht am Verlassen des Bahnsteigs gehindert. Unzählige Male hab‘ ich mit der Polizei in meinem Leben darüber diskutiert, dass ich nicht sofort zum Stadion will, sondern erst mal irgendwo Mittagessen, diesmal klappt´s – der Polizist lässt uns drei mit den Worten „die nächste S-Bahn ist aber eure“ passieren. Wir essen jeder eine Pizza und sind pünktlich am Stadion.
Rot und weiße Fahnen sollen ewig für dich weh‘n
Das Europapark-Stadion ist eines wie die vielen neuen. Ein nach Schema F mit den DFB-Anforderungen kompatiblen Baukastensystem zusammengesetztes Tribünenviereck, in dessen Mitte zufällig Platz für ein Fußballfeld ist. Eine weiträumige Anlage des Stadionumfelds, so dass jeder vorbeikommenden Massenpanik die Lust vergeht, sich auszubreiten. Als Folge dieser sicherlich sinnvollen Maßnahme gibt es ziemlich viel Fußweg für den reisenden Fußballfan zwischen S-Bahnhof, Haltestellen und dem Stadion zu bewältigen. Neben den üblichen Parkplätzen für Autos gibt es auch eine erkleckliche Menge für Fahrräder.
Dennoch den Charme des Dreisam-Stadions wird es so schnell nicht erreichen. Mir werden die in ihren Einfahrten stehenden Bier- und Schalverkäufer fehlen. Ein über den Gartenzaun verkauftes Bier wird nur noch von den gezapften im „Schwarzwaldblick“ übertroffen.
Kleiner vom Auswärtsspiel abweichender Exkurs: Das es an dem neuen Ort ein Lärmschutzproblem mit Anwohnern gibt/gab, wird, auch wenn man selbst vor Ort war, nicht verständlicher. Zum einen, weil es einen gewerbegebietartigen Eindruck macht und zum anderen, gibt es vis á vis einen kleinen Flugplatz, der aber groß genug zu sein scheint, dass wohl die Gladbacher dort schon mit ihrem Flugzeug landeten.
Über die Qualität des Gästeblocks gab es in der grenzenlosen Reisegruppe unterschiedliche Ansichten. Die Sichteinschränkungen wie es sie im Stehergästeblock des Dreisam-Stadions gab, gibt es im neuen nicht. Den Eindruck, dass die Traversen etwas vibrieren, wenn die Hüpffrequenz hoch ist oder der Wind pfeift, haben wir aber alle gehabt.
Nachgetragenes Update nach Hören des Rasenfunk Royals: Vielleicht können wir ja den Freiburgern helfen, Mooswaldstadion zu etablieren anstatt des oben genannten Namens.
Ansonsten haben wir laut, lang und auch etwas schräg gesungen. So eine Saison zerrt auch an der stimmlichen Kraft von Fans. Das wird viel zu wenig beleuchtet.
Die Mannschaft spielte auch sehr schön. Und gewann 4:1.
Wir sangen und hüpften noch lauter und länger. Besangen die Mannschaft und Grischa im Besonderen. Rotz, Blubber und Dreierschnecken soll er heulen, wenn er uns in wenigen Tagen verlässt. Nee, leicht machen wir es ihm nicht.
Trimmi, der auf den Zaun geklettert war, besangen wir im Speziellen mit einem „Uns – Christoph!“, das „er“ mussten dem Versmaß zuliebe weichen.
Die freundlichen Durchsagen, dass die bereitgestellten Sonder-S-Bahnen zum am Hauptbahnhof wartenden Partyzug bald abfahren würden, verhallten ziemlich wirkungslos.
Vom Spiel nicht viel gesehen, schließlich waren wir in Freiburg im Auswärtsblock, diesmal lags aber an den wehenden Fahnen unserer Ultras.
Die Freiburger Polizei will uns Partyvolk geschlossen zum Bahnhof bringen und sammelt alle Zugfahrer auf einem Parkplatz ein. Zu uns dreien hat sich Carsten gesellt, der die Heimreise im Zug macht. Es dauert, bis wir uns endlich in Bewegung setzen, also verschönere ich das Polizeifahrzeug unauffällig.
Endlich dürfen wir los, die Freiburger Fans bilden Spalier und spielen sogar unsere Hymne während wir unseren Fanmarsch zum Bahnhof machen. Wir wünschen ihnen viel Glück in Berlin und weisen natürlich darauf hin, dass wir im Endspiel gewonnen hätten!
Im Zug angekommen gucken die einen das „18:30-Spiel“ und ich die Sportschau. Während die Hertha unter das Mainzer Rad gerät, begeben wir uns ins Partyabteil zum Feiern und Biertrinken. Es ist nicht ganz so voll wie in der Nacht zuvor.
Meinen alten Leitspruch „Einen Marathon gewinnt man nicht im Sprint“ hat anscheinend nicht jeden erreicht. Mara erfährt irgendwann, dass Schalke (der Verein ihres Opas und ihrer Mutter) aufgestiegen ist und fragt, ob ihre Familie oder sie zuerst ins Bett kommen. Gegen 23 Uhr ist auch für uns Schluss, bisschen Schlaf braucht man ja…
Kleines Exilertreffen am Abend
Irgendwann geht auch dem sangesstärksten Unioner die Puste aus. Und die Freiburger Ordner waren auch recht geduldig mit uns. Das ist ja auch nicht so selbstverständlich. Ja, looking at you, München und Wolfsburg.
Also fließen wir aus dem Stadion.
Carsten hat sich mittlerweile der Partyzug-Fraktion angeschlossen. Da mein Gepäck noch im Schließfach lagert, erstmal zum Bahnhof zurück.
Auf der Fahrt zum Bahnhof in der buntgemischt gut gefüllten Straßenbahn, höre ich eine vertraute Stimme. Blicke mich um und entdecke jenen Schulfreund, mit dem ich vor Äonen das erste Mal zu Union gegangen bin. Wendebedingt ist er seit über 20 Jahren Exiler. Insofern war es eine freudige Überraschung und ein spontanes Exilertreffen am Bahnhof.
Jetzt schnell zum Hotel, komme gerade rechtzeitig, um in der Sportschau das Spiel in der Zusammenfassung zu sehen und ohne Fahnenstroboskop auch die Tore. Mit Fahnen waren sie sogar noch um eine Spur schöner.
Frischmachen und los zum Exilertreffen mit Jette, ihrem Papa, ihrem Cousin und einigen anderen. Es gab viele Union-Geschichten, auch sehr alte, zu hören. Leider war die Gesamtlautstärke so laut, dass es schwierig war, dem Erzählten immer gut zu folgen.
Irgendwann machen sich Anfahrt, Stadion, Bier nicht nur bei mir älterem Herrn bemerkbar, und wir ziehen nochmal durch die Freiburger Innenstadt auf der Suche nach einem letzten Bier, welches bei Jette zu Eis mutiert und bei ihrem Papa zu einem Espresso. Dominik und ich wandelten zur Haltestelle und das letzte Bier wurde dann ein Gezapftes in der Hotellounge.
Im Partyzug ging es da aber wohl erst richtig los.
Noch ‘ne Serenade
Gegen halb drei werde ich wach, alles schläft und ich will nicht stören. Also geh‘ ich auf den Gang um zu rauchen. Es ist irgendwie kalt. Alle Fenster sind offen und ich erinnere mich an die Wärme des Partyabteils. In den klebrigen, teilweise noch mit Partymugge beschallten Gängen wird es mühsam, zu laufen. Aber kein Problem für UnionerInnen. Genauso wie der Kaffee um diese Zeit.
Mist, wo sind die Zigaretten?
Also noch einmal zurück, natürlich ins falsche Abteil, aber das bemerke ich schnell. Nach der ersten Zigarette trinke ich lieber Bier, während ein Teil des Wuhlesyndikats zu Techno die Tanzfläche rockt. Irgendwann läuft Best of Ballermann und wir letzten Übriggebliebenen feiern die junge Nacht. Als ich mein nächstes Bier hole, sagt die junge Frau am Tresen, dass ich schnell trinken solle, wir seien in einer Viertelstunde in Berlin-Lichtenberg – eine ganze Stunde zu früh. Am Sonntag um 6:00 ist die Reise also zu Ende, übermüdet, aber glücklich komm ich zu Hause an.
Zwischen Abflug und Gipfelsturm
Deutlich ausgeschlafener als Team Partyzug nehmen Dominik und ich in der zur Frühstückshalle mutierten Hotellobby ein ausgiebiges Frühstück. Zumindest bei mir fließt der Orangensaft in Strömen. Muss mit Vitaminen den gestrigen Abend kontern.
Dann trennen sich auch unsere Wege. Dominik nimmt einen späteren Zug um der Freiburg umgebenden Gegend ein Blick zu schenken. Dafür nutzt er einen höher gelegenen Aussichtspunkt mit Biergarten.
Mich zieht es in Richtung Bahnhof – den Zug nach Interlaken nehmend, ist eine meiner letzten Etappen dieser Fahrt.
Im Zug stelle ich fest, dass man niemals sieges- und biertrunken, trotz Problemen mit der Bahn-App bei der Hinfahrt, ein Ticket kaufen sollte. Ich saß zwar in dem von mir rausgesuchten Zug, nur die Fahrkarte dazu war für irgendeine Regionalbahnverbindung. Also Augen zu und durch. Im ICE nach Interlaken klingt einfach auch viel mehr nach großer weiter Welt als ich nahm dann eine Regionalbahn nach Basel.
Da in der Schweiz eben alles läuft wie ihre Uhren, steigt man ohne Verzögerung in den Bus zum Flughafen und zack … hat man ausgiebig Zeit Schokolade zu kaufen und das mitgenommene Buch zu lesen.
Der rot- weiße Block wird immer größer und schon ist auch Boarding. Abflug.
Halb sechse abends am BER, einige Unermüdliche versuchen noch mal musikalisch die Hertha ins Bett zu bringen. Aber die Begeisterung dafür springt nicht über.
Das war sie also – die letzte Auswärtsfahrt der Saison.
Und sind wir doch ehrlich, wir fiebern doch alle der Gruppenauslosung entgegen, um die europäischen Touren zu planen.
Eisern und ‘ne schöne Sommerpause uns allen.
Mit dabei waren: Mara, Conny, Carsten, Daniel, Dominik, Jan Grobi, Tom