“Wir sind Unioner, wir sind die Kranken”

Es ist 23.30 Uhr am 29. April 2022 im Stadion An der Alten Försterei, das Stadion ist leer …. Aber halt: Irgendetwas hallt da noch durch den Wald und klingt nach „Stadtmeister, Stadtmeister … Berlins Nummer 1“ oder „Eiserne Hochzeit“. Kann das denn sein? Denn das vorangegangene Punktspiel am 32. Spieltag der Fußballbundesliga unseres 1. FC Wundervoll gegen die SpVgg Greuther Fürth ist bereits seit mehr als 75 Minuten beendet. Täusche ich mich oder habe ich vielleicht sogar Halluzinationen? Nein … natürlich nicht.

Die Waldseite ist fast noch voll besetzt und Ali dirigiert die verbliebenen Fans von einem Liedgut zum Nächsten und alle machen mit. Nach Hause? Nö … gehen wir nicht. Immer weiter und immer weiter wird alles gesungen, was das eiserne Liedgut so hergibt und nach der Mannschaft verlangt, die natürlich schon zum großen Teil auf dem Weg ins heimische Bett ist. Dennoch wird der Ruf der Fans erhört und Grischa Prömel kommt noch einmal in Begleitung von Genki Haraguchi vor die Waldseite.

Das natürlich jetzt Grischa nach seinem vorletzten Heimspiel besonders von den Fans gefeiert wird, ist klar. Klar auch, dass man von weiten die feuchten Augen von Grischa erkennen kann. Eigentlich möchte man ihm zurufen: „Grischa bleib doch einfach bei uns. Wir zahlen auch die Vertragsstrafe“, aber im gleichen Augenblick kommt die Erkenntnis, dass Grischas Abschied unwiderruflich ist. So ist das halt im Haifischbecken Bundesliga. Auch wenn wir aktuell auf Platz 6 stehen, vielleicht sogar am Ende des Spieltages auf Platz 7 rutschen werden, brauchen wir uns nichts vormachen, dass Platzierungen in diesen Höhen für eine Mannschaft mit einem Marktwert von 75 Millionen eben nicht normal ist und am Ende Software-, Brause-, Pillen- oder Autokonzernmillionen das machen, was sie am besten können: Geld ausgeben und die besten Spieler von anderen Mannschaften wegkaufen.

Aber so ist das halt in diesen Zeiten. Wir werden die Bundesliga mit unserer Anwesenheit nicht verändern, aber wir können zeigen, dass es auch anders geht, dass der Fußball, wie wir ihn mögen und lieben von den Fans getragen wird, dass das Wort „Mitbestimmung“ und „Teilhabe“ keine leeren Phrasen sind, sondern bei uns gelebt werden. In anderen Stadien – und derer haben wir schon einige erlebt – wird man am Ende freundlich (ok, nicht immer), aber bestimmend mit grässlicher, völlig überdrehter und lauter Mucke des Stadions verwiesen oder von einem Typen auf dem Feld angebrüllt und man das Gefühl hat, dass dieser Clown irgendwie einen Cocktail aus Speed, Ecstasye und Koks inhaliert haben muss (keine Grüße nach Nord-Salzburg, verpisst euch einfach, keiner wird euch jemals vermissen).

Bei uns ist es möglich, dass selbst 75 Minuten nach Spielschluss unsere Fußballgötter entsprechend gefeiert werden. Der geneigte Leser, der nicht rot/weiß fühlt, wird jetzt sagen: Das machen wir doch auch, wenn wir den Gegner 8 zu 0 vom Platz gefegt haben. Nur eben, dass wir gerade ein Spiel unseres 1. FC Union Berlin erlebt haben, das durchaus das Prädikat „schlechtestes Spiel dieser Saison“ verdient hat und wir von Glück sprechen können, dass Spiel gegen die Fürther nicht verloren zu haben. An dieser Stelle muss ich einmal meinen virtuellen Hut vor unserem gestrigen Gast ziehen.

Eine Mannschaft, die bereits nach nur einem Jahr der Zugehörigkeit zur Bundesliga als erster direkter Absteiger in die 2. Bundesliga feststeht, zeigt auf dem Rasen und in einem voll besetzten Gästeblock (an einem Freitagabend!!!), wie man mit Anstand und Respekt den Weg in die zweite Liga gehen kann. Auf dem Rasen hielten die Fürther unseren Jungs einen Spiegel unserer eigenen Spielweise vor die Nase und machten deutlich, dass Wörter wie KÄMPFEN, RENNEN, NICHTAUFGABE und „den Gegner STRESSEN“ auch in Fürth gelebt werden. Ebenso 1a war die Unterstützung der Fürther-Ultras ihrer Mannschaft gegenüber die zeigten, dass anfeuern und unterstützen die bessere Alternative ist als Auspfeifen oder durch eine Trikotabgabe zusätzlich zu demütigen. Leider verliert die Bundesliga mit den Fürthern einen sympathischen Traditionsverein (Gründung 1903). Ich für mein Teil möchte ihnen zurufen „Kommt bald wieder – ob als SpVgg Greuther Fürth oder als SpVgg Fürth – völlig egal“.  Was hinter der Forderung der Fürther Ultras steckt „zurück zur SpVgg Fürth“ (siehe auch Blockfahne der Gäste) könnt ihr HIER nachlesen. Bleibt zum Schluss nur zu sagen: „Wir sind Unioner, wir sind die Kranken“ – das hat der Abend bewiesen.  

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